„EG-Fragen sind überall lebenswichtig“

Fritz Verzetnitsch, Präsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes, zum Aufnahmegesuch Österreichs in die EG  ■ I N T E R V I E W

taz: Österreich wird am 17.Juli bei der EG ein Aufnahmegesuch stellen. Ist das innenpolitisch völlig unumstritten?

F. Verzetnitsch: EG-Fragen sind auch in Ländern, die schon seit Jahrzehnten der EG angehören, heiße Themen. Österreich bemüht sich jetzt um die Aufnahme in die EG, und weil europäische Fragen inzwischen lebenswichtig geworden sind, gibt es eine angeregte Diskussion.

Können Sie die verschiedenen Positionen erläutern?

Im wesentlichen sind es drei Gruppen. Einige schauen fasziniert über die Grenze in das politische Westeuropa, ein bißchen wie Kinder, die gerne das gleiche Spielzeug hätten wie die auf der anderen Seite des Zauns. Andere sind erklärte Gegner des Beitritts. Wieder andere - und diese Position wird auch vom österreichischen Gewerkschaftsbund vertreten - berücksichtigen wirtschaftliche, politische und soziale Gegebenheiten. Der weltweite Prozeß der Vereinheitlichung der Wirtschaftsmärkte bewirkt auch das Zusammenrücken aller Europäer. Diese neue, europäische Entwicklung muß auch im Interesse der Arbeitnehmer liegen, da nur die Integration die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft gegenüber der amerikanischen und fernöstlichen garantieren wird. Im Europa-Memorandum des ÖGB vom Dezember 1988 wird betont, daß auch Österreich an die Erhaltung und Verbesserung seiner wirtschaftlichen Position denken muß und sich daher der Dynamik des Integrationsprozesses nicht verschließen sollte.

Welche besonderen Probleme sehen Sie aus der Sicht Österreichs im Falle eines EG-Beitritts?

Zwei Punkte liegen uns da besonders am Herzen, die „Immerwährende Neutralität Österreichs“, die 1955 eine Kondition des Österreichischen Staatsvertrages war, und der relativ hohe Sozialstandard unseres Landes. Der ÖGB hat daher diesen Internationalisierungsprozeß nur unter unbedingter Wahrung der Neutralität befürwortet.

In der Bundesrepublik warnt der DGB im Hinblick auf den Binnenmarkt immer wieder vor „sozialem Dumping“. Auch in Österreich würde eine Vorbereitung auf den Binnenmarkt große Veränderungen für die wirtschaftliche Struktur mit sich bringen. Wo liegen die Gefahren?

Wir wollen, daß die Wohlstands- und Wachstumschancen, die der Binnenmarkt verspricht, auch Chancen für die Arbeitnehmer sind. Unser Ziel ist das soziale Europa, das Europa für alle und nicht nur für einige wenige.

Was bedeutet das für Sie als Gewerkschafter?

Ein gemeinsames Europa bedeutet für uns nicht die Uniformierung der Gebräuche und Rechte jedes einzelnen Landes, jeder einzelnen Kultur. Für uns heißt das auch, daß nationale Regelungen, die für die Arbeitnehmer günstig sind, solange beibehalten werden, bis auch die europäischen Richtlinien diesem Standard entsprechen. Soziale Fragen sind in der Gemeinschaft bisher auf nationaler Ebene gelöst worden. Wie bisher, werden wir uns für die Erhaltung und den Ausbau des österreichischen Sozialstandards einsetzen. Starke Gewerkschaften sind der beste Schutz gegen ein befürchtetes Sozialdumping. Wenn wir uns gut vorbereiten, werden wir uns auf Brüssel freuen können.

Interview: Hortense Hörburger