Erneute Verhaftungswelle in China

■ Am Tag Überstunden und Urlaubssperre, in der Nacht Massenfestnahmen / Zahl der Verhafteten liegt inzwischen bei 7.000 / Parteifunktionär fordert die „totale Ausmerzung“ der „Anführer der Rebellion“

Peking/Hongkong (afp) - Knapp eineinhalb Monate nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung ist es der chinesischen Führung offensichtlich immer noch nicht gelungen, die Proteste völlig zu ersticken.

Wie am Montag aus informierten chinesischen Kreisen zu erfahren war, erschüttert seit Mittwoch letzter Woche eine neue Verhaftungswelle Peking und andere Großstädte. Bislang seien 7.000 Menschen verhaftet worden, davon allein 3.000 in Peking. Nach den Parteifunktionären sind nun auch die Arbeiter der Pekinger Betriebe aufgerufen, auf ihren Urlaub zu verzichten und Überstunden einzulegen, um die während der Demonstrationen entstandenen Verluste wieder aufzuholen.

Unterdessen wies die chinesische Führung die Kritik der sieben wichtigsten westlichen Industrienationen an der „brutalen Unterdrückung“ der Demokratiebewegung als „grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ der Volksrepublik scharf zurück. Zu den Festgenommenen zählt neben dem Studentenführer Wang Zhengyun (21) vom Pekinger Institut für Nationalitäten auch der Direktor des staatlichen Huayue Verlags der Provinz Shaanxi, Li Guiren, der aus Protest gegen das brutale Vorgehen der Armee gegen die Demonstranten seine Mitarbeiter zum Streik aufgerufen hatte. Ferner wird Li Guiren vorgeworfen, Mitte Mai vier Protestkundgebungen in Shaanxi organisiert, „provokative“ Aufrufe zum Sturz von Ministerpräsident Li Peng geschrieben sowie das „Chaos“ gefördert zu haben.

Nach Informationen aus Peking werden die Verhaftungen vor allem nachts vorgenommen. Eine neue Suchliste mit den Namen von vornehmlich Intellektuellen sei erstellt worden. Bei einem Treffen der Pekinger Parteifunktionäre rief das führende Mitglied Li Yan nach einem Bericht der 'Volkszeitung‘ zur „totalen Ausmerzung“ der „Anführer der Rebellion“ auf.

Immer wieder berichten die Zeitungen von Ermittlungen und Gerichtsverfahren gegen Wirtschaftskriminelle. Prominentes Opfer ist der Sohn des gestürzten Parteichefs Zhao Zyiang, Zhao Erjin, gegen den nach einem Bericht der Zeitung Ming Pao Ermittlungen wegen seiner angeblichen Verwicklung in „Wuchergeschäfte“ laufen. Unterdessen beschuldigte China die sieben führenden Industriestaaten des Westens der groben Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Volksrepublik. Den Industriestaaten wird Unkenntnis der wirklichen Lage in der Volksrepublik vorgeworfen, wo eine Handvoll Verschwörer versucht hätten, die Studentenunruhen „mit Unterstützung ausländischer feindlicher Kräfte“ zum Sturz des sozialistischen Systems auszunutzen.