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SCHWEISSEN STATT SCHMAUCHEN

■ Zwei Tage „Nichtraucher-Action-Festival“ mit der Landesvereinigung Gesundheit

Am Montag vormittag sind die Vertreter der Berliner Medien im Jugendzentrum „Pumpe“ noch in der Überzahl. Der SFB filmte die wenigen anwesenden Jugendlichen ab, bis die angekündigten „Workshops mit professionellen Künstlern“ anlaufen. Die Pressevertreter stärken sich derweil im Cafe bei subventionierter Bockwurst und Kartoffelsalat. Ein scheuer Seitenblick: keiner raucht.

Der erste Glimmstengel ist im Videoraum zu sehen, wo gerade ein selbstgedrehtes Musikvideo fertigwird. Die Kippe scheint niemand zu interessieren, ebensowenig wie das Thema Rauchen überhaupt. Die Veranstaltung erinnert vielmehr an den Tag der offenen Tür der Berliner Ferienspiele: Trommeln, Tango -Tanzen, am Fotoautomaten Kunst erleben, Kunstwerke aus Stahlteilen zusammenschweißen - kurz: in ihren Fabriketagen die Langeweile vertreiben. Als Konzession an den erwarteten Geschmack erlebnishungriger Nichtraucher ist im Hof eine Rigips-Wand angebracht worden, an der ein „bekannter Graffiti-Künstler“ als pädagogische Kraft abgestellt worden ist. Zusammen mit dem Lärm der angrenzenden Baustelle als Subkultur-Ambiente wirkt er fast authentisch.

Wenn die jungen Menschen beide Hände voll zu tun haben, so offenbar das Kalkül der Veranstalter, dann können sie auch nicht zur Zigarette greifen. Und so schweißten, sprühten, nähten, filmten und tanzten die Animateure, daß es rauchte. Die Akzeptanz bei den etwa hundert Jugendlichen, die bis zum Nachmittag in die „Pumpe“ eintrudelten, war unterschiedlich. Während beim Tango-Workshop (im tete-a-tete) mühsam die ersten Tanzschritte geübt wurden, mochte sich an der Graffiti-Wand kein gemeinsames Bekenntnis gegen Ozonloch und Raucherbein entwickeln. Die Kids kamen, sprühten und verschwanden wieder.

Es muß sehr schwer sein, zwei Nachmittage lang zu demonstrieren, eine bestimmte Sache nicht zu tun. Seit S -Bahn-Surfen und unsichtbare Bomber zum Alltag gehören, hat das Nichtraucherargument Gesundheit („Auch Lungenzüge haben Endstation!“) bei Jugendlichen wohl endgültig ausgespielt. Statt dessen setzt man auf Trend: „Rauchen ist out!“, „Lust auf action!“ oder ganz besonders dummdeutsch: „Disketten statt Zigaretten.“

Viel Rauch um zwei Tage offene Jugendarbeit in der „Pumpe“, hätte die Landesvereinigung Gesundheit nicht ein teerschwarzes Schaf unter seinen Mitgliedern: den Bundesverband der pharmazeutischen Industrie. Daß die Hersteller von Suchtmitteln ganz anderen Kalibers sich zum Fürsprecher einer Nichtraucherkampagne machen, paßt wie die Bronchitis zum Kettenraucher.

Stefan Gerhard

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