Wahnvorstellung oder Täuschung?

■ Ein 36jähriger Insasse des Moabiter Knasts wurde wegen Beleidigung und Widerstand zu 100 Mark Geldstrafe verurteilt / Der Hauptbelastungszeuge machte vor Gericht ein denkbar schlechtes Bild

Ein 36jähriger Gefangener der Moabiter Haftanstalt wurde gestern von einem Schöffengericht des Widerstands und der Beleidigung für schuldig befunden und zu 100 Mark Geldstrafe verurteilt. Als Beleidigung wertete Amtsrichterin Köster -Mindel, daß der Gefangene zu einem Beamten „du Idiot“ gesagt habe, und als Widerstand, daß er bei der Rangelei in seiner Zelle um sich geschlagen habe. Der Gefangene Gerhard S. war ursprünglich auch noch wegen Körperverletzung angeklagt. In dem zweitägigen Prozeß hatte er bis zum Schluß für einen Freispruch gekämpft. Er hatte beteuert, daß er am 22. Oktober 1988 nur gefordert habe, seine Thermoskanne vor die Zellentür stellen zu können, damit er bei der Ausgabe heißen Wassers nicht vergessen werde. Da habe ihm der Beamte Roman Sch. einen Schubs versetzt und mit Faustschlägen traktiert. Dann habe der Beamte mit seiner Pfeife Alarm gegeben, woraufhin mehrere Beamte in die Zelle gestürmt seien und ihn geschlagen und getreten hätten, bevor er mit Knebelketten in den Bunker abgeführt worden sei. Dort habe eine Ärztin diverse Verletzungen bei ihm festgestellt und seine Verlegung ins Haftkrankenhaus angeordnet. Gerhard S. war sich sicher, daß gegen ihn nur deshalb Strafanzeige erstattet worden war, weil die Beamten „Schiß“ hatten, daß er sie wegen Körperverletzung im Amt anzeigen werde. „Ich habe nichts gemacht“, beteuerte Gerhard S. Nicht einmal gewehrt habe er sich, sondern „extra“ alles fallen lassen, weil er gewußt habe, daß er bei der kleinsten Geste „dran“ sei: „Das kennen wir da drinnen zur Genüge.“ Der 30jährige Roman Sch. machte als Zeuge so ein schlechtes Bild, daß der Vorwurf der Körperverletzung fallengelassen werden mußte. So erklärte der Zeuge - der noch am Tag des Vorfalls krankgeschrieben wurde - er könne nur sagen, daß er von dem Inhaftierten angegriffen worden sei. Die Einzelheiten dieses „Negativ-Erlebnises“ habe er „verdrängt“. Auf die Frage nach seinen Verletzungen gab er an, eine Knochenabsplitterung gehabt zu haben, die „wohl“ durch einen Biß des Gefangenen entstanden sei. Auf die Frage welche seiner Hände denn verletzt gewesen sei, antwortete er nach einem hilfssuchenden Blick auf diese: „Ich weiß es nicht mehr.“ Für das Gericht stand fest, daß der Gefangene Widerstand geleistet hätte. Als nicht erwiesen sah die Richterin an, daß der Beamte Sch. von dem Gefangenen verletzt wurde. Auch, ob er sich die Verletzung bei der Rangelei zugezog, sei nicht feststellbar gewesen. Auf den Hilfsbeweisantrag von Verteidiger Setsevitz, den Beamten Sch. psychatrisch untersuchen zu lassen, um zu klären, ob er an „Wahnvorstellungen“ leide oder vor Gericht ein Täuschungsmanöver abgezogen habe, ging die Richterin nicht weiter ein.

plu