„Nur Atomgesetz gilt“

■ Erläuterungen zum Gutachten des schleswig-holsteinischen Energieministeriums „Über die Grundsätze zur Entsorgung von Kernkraftwerken“ / WAA spielt bei Gutachter Lange keine Rolle

Berlin (taz) - Im Gutachten des Gießener Rechtsprofessors Dr. Klaus Lange spielt Wackersdorf überhaupt keine Rolle. Es geht ausschließlich um den Rechtscharakter und die Bindungswirkung der „Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge für Kernkraftwerke aus dem Jahr 1980“. Sie wurden zwischen den Ministerpräsidenten der Länder und dem Bund vereinbart. Muß sich die Regierung von Schleswig-Holstein an diese Grundsätze halten oder nicht - das sollte Lange herausfinden. Und wenn sie sich nicht an die „Grundsätze“ halten muß - woran dann?

Was steht in diesen „Grundsätzen“? Die Versorgung eines Atomkraftwerkes gilt als nachgewiesen, wenn für sechs Jahre im voraus der Verbleib der abgebrannten Brennelemente nachgewiesen werden kann, z.B. durch interne oder externe Zwischenlagerung oder durch Auslandsverträge über eine Wiederaufbereitung. Aus den „Grundsätzen“ geht nicht hervor, daß ein Endlager vorhanden sein muß, durch das der radioaktive Müll aus dem natürlichen Lebensraum, der Biosphäre, entfernt wird.

Die „Grundsätze 1980“ gehen damit weit hinter das Atomgesetz zurück. Dort wurde nach der Ölpreiskrise 1976 ein neuer Paragraph 9a aufgenommen. Damals war klar, daß mit dem Ausbau der Atomenergie radioaktive Müllhalden anfielen. Der neue Paragraph war auch eine Reaktion auf die frühe Anti-AKW -Bewegung. Dort heißt es: „Wer Anlagen, in denen mit Kernbrennstoffen umgegangen wird, errichtet oder betreibt,...hat dafür zu sorgen, daß anfallende radioaktive Reststoffe sowie ausgebaute radioaktive Anlagenteile...schadlos verwertet werden oder, soweit dies nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar...ist, als radioaktive Abfälle geordnet beseitigt werden.“

Juristisch steht die Entsorgungsfrage also im Spannungsfeld dieser beiden Aussagen: Muß nur die Zwischenlagerung als Voraussetzung der Betriebsgenehmigung sechs Jahre gesichert sein oder, wie es das Atomgesetz vorsieht, die Endlagerung?

Die „Grundsätze 1980“ beruhen auf einem Beschluß der Regierungschefs vom 29. Februar 1980. Dieser Beschluß läßt sich weiter zurückverfolgen auf ähnliche Übereinkünfte im Mai 1977 und im September 1979, wo es auch jeweils um die Entsorgung ging. Jedenfalls, so Prof. Lange in seinem Gutachten, sei es überzeugende herrschende Rechtsauffassung, daß Beschlüsse der Ministerpräsidenten im Zweifel keine rechtliche Verbindlichkeit beanspruchten, wenn sie nicht als Staatsvertrag, als Verwaltungsvereinbarung oder als rechtsverbindliches Abkommen bekanntgemacht würden. Sie bleiben politische Willenserklärungen.

Dann folgen die juristischen absichernden Spitzfindigkeiten, die gleichzeitig Spitzen gegen die Bundesregierung sind. Selbst wenn es sich bei den Beschlüssen der Ministerpräsidenten um ein verbindliches Abkommen gehandelt habe, wäre jedes Bundesland von seinen Verpflichtungen entbunden, weil nämlich der Bund selbst zuerst die Übereinkunft gebrochen habe. Er wäre nämlich nach den „Grundsätzen“ verpflichtet gewesen, mit den Ländern abzusprechen, ob die direkte Endlagerung ohne Wiederaufbereitung statthaft sei.

Hat er aber nicht. Im Gegenteil: Im Mai 1985 brachte der Bund einseitig zum Ausdruck, die direkte Endlagerung für Leichtwasserreaktoren könne nicht in Anspruch genommen werden. Damit waren die Länder erst mal aus dem Schneider, sie brauchten sich nicht mehr an die „Grundsätze 1980“ halten, selbst wenn sie rechtsverbindlich gewesen wären. Denn: Clausula rebus sic stantibus! Wenn der andere sich nicht dran hält, brauche ich auch nicht.

Prof. Langes Schlußfolgerung: Das Land Schleswig-Holstein ist an die „Grundsätze zu Entsorgungsvorsorge 1980“ nicht gebunden. Sondern, das ergibt sich daraus, an das weitergehende Atomgesetz.

Wieland Giebel