SCHIEF GEWANDET

■ „Karthago“ in der MIR Caravane

„Ceterum censeo Cartaginem esse delendam“ (Im übrigen meine ich, Karthago muß zerstört werden), so schloß während des zweiten Punischen Krieges der römische Senator Cato seine Reden, und daran kommt man auch bei der Aufführung „Karthago“ der polnischen Gruppe „Akademia Ruchu“ nicht vorbei. Und weil das so schön paßt, darf auch der laute Ruf: „Noch ist Polen nicht verloren“ nicht fehlen, wenn man zum Ausdruck bringen will, daß eine Geschichte noch nicht völlig den Bach herunter gegangen ist.

Vier Personen sitzen jedenfalls in der Eingangsszene unterhalb einer schrägen Wand auf Stühlen und stecken die Köpfe zusammen. Ihr Gespräch steigert sich zu einem Wortgebrabbel, bis die Runde im wahrsten Sinne des Wortes explodiert. Die Versuche gegen die Wand vorzugehen, mit Fäusten sowie Revolvern scheitert nicht gerade kläglich, nimmt aber doch mehr und mehr den Versuch an, sich der Schräglage anzupassen. Die Stühle schräggestellt, damit sie im rechten Winkel zur Wand stehen, fallen mit ihren Benutzern stets um. Allein die Artisten sind in der Lage, dem angestrebten Winkel genüge zu tun.

Wenn die Wand noch ein kleines Stückchen weiter kippt, zeigt sich die andere Seite der Medaille. Vielleicht soll das ja bedeuten, daß auch Unterdrücker es schwer haben, wenn wir miterleben, wie auf der schiefen Ebene Stangen eingepflockt werden, Ziele gesetzt, Fähnchen plaziert und Zahlen eingeschlagen werden, zwischen denen sich anmutig eine Frau und ein Mann der Übung hingeben, so zu tun, als befänden sie sich in der Waagerechten.

Daß sich nun ein paar Herren finden, die wohl die tragenden Säulen der Gesellschaft darstellen sollen, nimmt ebensowenig Wunder wie ihre Anstrengung, die schiefe Wand am rückwärtigen Bühnenraum in die Senkrechte zu bekommen. Doch nur um einer Frau Gelegenheit zu geben, diese weiße Wand in krakeliger Schrift mit Graffitis zu versehen, von denen man wiederum nur ahnen kann, was sie mehr bedeuten sollen als das Verlangen nach freier Meinungsäußerung und der Sehnsucht nach der Senkrechten. Daß das nicht gut enden kann, nimmt schlagartig Form an in dem Moment, als die Wand krachend auf die Bühne fällt, um nunmehr zur Spielwiese eines Mannes zu werden, der seinen Körper mit kleinen Zahlenschildchen versieht, wie man es aus Kriminalfilmen kennt, wenn die Polizei Fotos am Tatort macht und die Objekte mit ebensolchen Schildchen versieht.

Höhepunkt dieser beinahe wortlosen Erzählung mit mehreren Aufzügen und einer beweglichen, meist schiefen Wand ist der anschließende Faltprozeß von durchscheinenden Tafeln mit allerlei Symbolen aus dem Schnipselbuch von Vergangenheit und Gegenwart. Und um die Beliebigkeit von Orden und Ehrenzeichen, Hämmern und Sicheln, Sonne, Mond und Sterne zu verdeutlichen, werden diese von weiteren Akteuren durch die Luft geworfen. Schwupps, auch diese Szene ist vorbei, und endlich gibt es auch noch was zum Lachen, als die Wand nun wieder in Schräglage gebracht wurde und von hinten kleine Bestandteile dieser Formen mitsamt von Schlangen und kleinen Plastikspinnen hinübergeworfen werden. Diese kugeln so zu Vergnügen des Publikums hinab, daß man darüber vergißt, was uns das Ganze denn zu sagen hat, fehlt in der Aufführung nur noch die Schaukelpartie eines einsamen Mannes und die senkrechte Schlußstellung der Wand. Karthago ist jedenfalls zerstört worden, und die Volksrepublik Polen ist immer noch nicht vollständig verloren.

Qpferdach