ZIGEUNERSCHNITZEL VOM BALKANGRILL

■ Lorendana & Stingas Orchestra bei Orient De Luxe vorm Tempodrom

Die Konzertreihe Orient De Luxe, die sich zum Ziel gesetzt hat, das Berliner Publikum mit „Heimatklängen“ zu versorgen, wird langsam zum Rätselrate-Unternehmen. Für diese Woche waren die Raducanus angekündigt, laut Programmheft „Musiker des Raducanu-Cretu Clans auf dem westöstlichen Divan“, wo immer das sei. Die Legende der Balkanfamilie wirkt noch mysteriöser, wenn man vernimmt, daß sie Nachfahren des Petrea Cretu Solcan sind, der 1870 wegen überragender musikalischer Talente aus der Sklaverei entlassen und an den Hof des Sultan von Konstantinopel beordert wurde.

Die weiteren Recherchen ergaben, daß ein Mitglied des Clans vor einigen Monaten beim „Relative Violin Festival“ in der Akademie der Künste gesichtet wurde. Es war Gioni (Cretu) Raducanu, Kontrabassist, ausgebildet von der Familie und an der Musikhochschule von Bukarest und Moskau. Schon beim letzten Konzert hatte es gravierende Probleme mit der Visabeschaffung durch die rumänischen Behörden gegeben. Diesmal sind die Raducanus augenscheinlich an den ängstlichen Behörden in Bukarest gescheitert, die womöglich um den Rückkehrwillen der Musiker besorgt waren.

Während die Raducanus die Grenzer mit ihrem Geigenspiel zu bestechen versuchen, müssen die zehn Mann vom Stinga Orchestra vorm Tempdrom für sie einspringen. Die Stingas sind laut Veranstalter Borkowsky Akbar ein „befreundeter Clan“. Ebenfalls in Rumänien beheimatet, gehören sie zu den dort noch häufiger anzutreffenden reisenden Zigeunermusikern, die bei Hochzeiten und ähnlichen Festivitäten auftreten und gute Laune verbreiten sollen.

Daß sie diese Mission im Balkan erfüllen, will ich nicht bezweifeln, auf dem simulierten Zirkusgelände des Tempodrom, eigentlich eine hervorragende Kulisse für solche Musik, will so recht keine Feststimmung aufkommen. Die Musik erfüllt die Erwartungen und Klischees von Balkanklängen fast übergenau. Ein eingängiges Thema wird variiert von zwei Akkordeons, verschiedenen Bläsern, einem Synthie, Gesang und vom in der Mitte stehenden traditionellen Zymbal, das mit gepolsterten Klöppeln angeschlagen wird. Die schwingenden Saiten klingen, als würde man einen Flügel von innen beschlagen. Davon ist über die Beschallungsanlage leider nur wenig zu hören. Die Stingas musizieren vergnügt vor sich hin, lassen hier und da einen Goldzahn aufblitzen, bis endlich ihre angekündigte Sängerin erscheint. Lorendana fegt geschmückt mit einem knallbunten Rock über die Bühne, wirft uns Hüften, Blicke und ihren naturbelassenen Busen zu, das amüsiert die Männer, belustigt die Frauen. Ihr Parfum ist fast so aufdringlich wie ihr breites Mannequin-Lächeln. Ihre Show verspricht wesentlich mehr, als ihr Gesang zu halten vermag.

Irgendetwas degradiert die Veranstaltung spätestens jetzt zur billigen Folkloredarbietung. Man fühlt sich versetzt in einen Touropa-Animationsausflug in ein „original rumänisches Zigeunerdorf“. Die Musik wird zur Kulisse, ohne jeglichen Hintergrund verpflanzt und den Leuten zum Ramschpreis vorgeworfen, umsonst und draußen. Das liegt nicht an den Musikern selbst, sie machen einfach das, was sie wahrscheinlich immer machen, aber der Rahmen stimmt nicht. Ebenso unangemessen und peinlich wäre es, einen Hopi -Indianer in Stammeskluft einzufliegen, ihn eine Runde tanzen zu lassen und ihn dann in sein Reservat zurückzuschicken, wo inzwischen die Bulldozer schon die Uranminen einrichten.

Die „Heimatklänge“ werden zum Abgesang der Heimatlosen, der Zuschauer wird zum Touristen, zum vergnügungssüchtigen Gaffer inszenierter Folklore. Man geht mit einem zwiespältigen Gefühl, um die Illusion beraubt, ethnische Musik ließe sich, ohne Schäden zu erleiden, preiswert importieren. Den Preis zahlen die anderen.

Andreas Becker

Lorendana und Stingas Orchstra gastieren noch bis Samstag vorm Tempodrom um 21.30 Uhr und am Sonntag um 15 Uhr im Haus der Kulturen der Welt - gleich nebenan.