Geheimpakt Hitler- Stalin bestätigt

Moskau gibt Abkommen zu, das die baltischen Staaten um ihre Selbstständigkeit brachte  ■  Von Matthias Geis

Berlin (taz) - Die Sowjetunion hat erstmals offiziell bestätigt, daß ein geheimes Zusatzprotokoll zum Hitler -Stalin-Pakt existiert. Entsprechend hat sich am Sonntag der Chef der Abteilung Internationale Angelegenheiten des Zentralkomitees der KPdSU und frühere Botschafter in Bonn, Valentin Falin, in einer ZDF-Fernsehdiskussion geäußert.

Diese erste offizielle Bestätigung aus Moskau wird nicht ohne Auswirkungen auf die sowjetische Innenpolitik bleiben. Denn die Autonomiebewegungen in den bis 1940 unabhängigen baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen planen zum bevorstehenden 50.Jahrestag der Unterzeichnung im August umfangreiche Aktionen, mit denen sie die Annullierung des Hitler-Stalin-Paktes durchsetzen wollen. In dem geheimen Zusatzprotokoll, dessen Existenz früher von Moskauer Seite kategorisch bestritten wurde, hatten das Deutsche Reich und die UdSSR am Vorabend des Zweiten Weltkriegs ihre Interessenssphäre auf Kosten Polens Fortsetzung auf Seite 2

beziehungsweise der baltischen Staaten einvernehmlich festgelegt. Das Zusatzprotokoll gilt in den baltischen Staaten deshalb zu Recht als großmachtpolitische Absicherung der sowjetischen Annexion 1941.

Das Zusatzprotokoll ist auf einem Mikrofilm festgehalten, der im Bonner Auswärtigen Amt vorliegt. Die Originaldokumente sind höchstwahrscheinlich nicht mehr vorhanden. Sie wurden zumindest auf deutscher Seite bei Kriegsende vernichtet.

Daß trotz der ungesicherten Quellenlage das stereotype Moskauer Dementi nicht mehr haltbar war, hatte sich im Zuge der neuen sowjeti

schen Außenpolitik bereits angekündigt. In jüngster Zeit hatte Moskau die Existenz nicht mehr kompromißlos verneint, sondern lediglich als „ungesichert“ eingestuft.

Mit der offiziellen Bestätigung ist die Autonomiebewegung der baltischen Staaten ein gutes Stück vorangekommen. Allerdings wäre es verfrüht, Falins Äußerung schon als Eingeständnis für die Unrechtmäßigkeit der Annexion zu werten. Bislang gilt immer noch die offizielle Moskauer Interpretation, die sowjetische Besetzung 1941 sei lediglich eine Schutzmaßnahme gegen die nationalsozialistische Aggression gewesen; was die spätere Eingliederung in die UdSSR betrifft, verweist Moskau auch heute noch auf die „freiwilligen“ Aufnahmegesuche, die von den Parlamenten Litauens, Lettlands und Estlands an die

UdSSR gerichtet worden waren. Würde Moskau mit der Existenz des Protokolls auch die Unrechtmäßigkeit der Annexion zugestehen, würde damit der Verbleib der drei Staaten in der UdSSR in Frage gestellt.