36 Einbrüche für ein Gramm täglich

■ Alltägliches Fixerschicksal zum x-ten Mal vor Gericht / Beschaffung mit immer gleicher Masche / Therapie in Aussicht

„Selbstverständlich“ wolle er aussagen, stellte Michael R. gestern gleich bei Prozeßbeginn fest. Trotzdem mußte er damit fast eine halbe Stunde warten. Solange dauerte es, bis Staatsanwalt Gabler die Anklageschrift zügig verlesen hatte: In 36 Bremer Wohnungen soll Michael R. von August bis Dezember 1988 eingebrochen sein. „Beschaffungskriminalität“ nennt sich das lapidar.

Die Kripo hat ihre Arbeit mit den Delikten bereits hinter sich. Leicht entdeckte sie hinter rund 50 (darunter auch etlichen mißlungenen) Einbrüchen die „Masche R.“: Stets wurden die Wohnungen tagsüber aufgebrochen, der Zylinder mit einem „Engländer“ wenig spektakulär geknackt. Meistens griff R., so seine wiederholten, offenherzigen Aussagen, nur nach Geld und Schmuck, weil er das leicht in die Taschen stecken und am einfachsten gegen Stoff eintauschen konnte.

Michael R. ist drogenabhän

gig. Seit mehr als zwölf Jahren spritzt der gerade 32Jährige Heroin. Mit Hasch hatte es angefangen: „Das war im zweiten Lehrjahr,“ erinnert Michael sich scheinbar ruhig und sachlich. Über LSD und Valium kam er dann 1976 zum Heroin. Schon die Gesellenprüfung seiner Kfz-Schlosser-Lehre schaffte Michael R. in der Theorie nicht mehr, den Job verlor er, krankgeschrieben mit einem Leberschaden. „Alles schon wegen des Heroins?“ fragt Richter Scotland den Angeklagten. „Ja“ kommt prompt die Antwort.

„Erstaunlich, daß er erst mit 21 Jahren seine erste Gerichtsverhandlung erlebte,“ meinte der Richter bei einem ersten Blick in die Vorstrafen-Akten. Damals noch in Berlin hatte R. Autos und Gaststättenkassen geknackt, um an Geld für Drogen zu kommen. „Damals lag sein Heroinverbrauch noch bei 80 Mark am Tag,“ liest Scotland aus der Akte

vor.

Jetzt spritzt Michael R. mindestens ein Gramm täglich - in einem „ständigen auf und ab“ aber oft bis zu drei Gramm. Rund 300 Mark muß er für jedes Gramm bezahlen. Und da R. vom Sozialamt nur alle 14 Tage 170 Mark erhält, ging er nach seiner letzten Haftentlassung im August 1988 fast täglich auf Diebestour. Meist habe er die „Beute bei Türken oder Libanesen“ direkt gegen Heroin umgetauscht: „Ich wurde aber fast immer betrogen,“ meinte er zu den Vorhaltungen der Richter, die ihm in Einzelfällen Schadenslisten von bis zu 20.000 Mark vorlasen. Selten sei es vorgekommen, daß ein Deal den Stoff für mehrere Tage einbrachte, sagt R. dazu.

Im Dezember war R. bei einem Einbruch mit seinem kurzzeitigen Komplizen L. ertappt worden und hatte sich bei der Flucht eine Schädelverletzung eingehandelt. Er landete für zwei Wochen im

Krankenhaus. „Da erfuhr ich dann auch, daß ich HIV-positiv bin,“ berichtet Michael dem Gericht. „Dann fiel eine Klappe runter und ich hatte gar keine Perspektive mehr.“ Noch aus dem Krankenbett zog R. tagsüber wieder los: „Das waren dann so Kamikaze-Trips, wo ich wahllos alles mitnahm, auch Videorecorder und Plattenspieler.“

Doch eine Straftat hat sich eingeschlichen, die offensichtlich nicht auf sein Konto geht. „Das ist das Ergebnis von solchen Sammelgeständnissen“ vermutet

Verteider Wesemann. Die ermittelnden Kripobeamten hatten dem Verdächtigen die Anzeigen gleich bündelweise vorgelegt.

„Einige Male hab‘ ich bei meiner Mutter versucht, selbst zu entziehen. Aber das hat nie hingehauen.“ Bei einem Therapieversuch kam der Strafvollzug dazwischen. Auch im Knast kam R. weiter an Stoff. Jetzt hat sein Verteidiger einen möglichen Therapieplatz ausfindig gemacht. Heute wird die Verhandlung fortgesetzt und sein Lebenslauf erörtert.

Birgitt Rambalski