ARCHITEKTUR ALS HAUTE COUTURE

■ Frank O.Gehrys „Design Museum Vitra“ in der Galerie Aedes

In einer mittelständischen Einfamilienhausgegend in Santa Monica, Kalifornien, wo den Kids Kellogs ums Maul schlabbert, Mom zum Psychiater muß, weil die Liftnarben dauernd reißen, und es für Dad nichts Schöneres gibt als den Rasen zu sprengen und das Gebiß zu entblößen, steht das Haus des Architekten Frank O.Gehry: Ein Hauch von Slum umweht das barackenhafte Gebilde. Die Eingangsfront bildet eine aus Drahtgittern und blau gestrichenen Wellblechwänden aufgebaute Verschalung, die ein kleines Häuschen umschließt. Zwischen dem Altbau und der neuen Hülle breitet sich ein räumlicher Zugewinn aus, der an der Längs- und Rückseite durch aufgerissene Blechteile und schräg darin eingesetzte Glaskörper, Holzlatten und verkantete Erker den Eindruck eines zufälligen Geschiebes erweckt, das architektonische Instabilität suggeriert und den Bau wie das Material als Symbole immerwährender Improvisation erscheinen läßt. Vorstellungen von Ordnung und Harmonie scheinen in den Wind geschossen, ebenso wie der perfekte Anspruch aus Dauerhaftigkeit und Haltbarkeit. Gehrys Haus „haftet die Unmittelbarkeit des von Hand Gearbeiteten an“, beschreibt der Architekturhistoriker Heinrich Klotz diese Hütte chaotisch gebauter Willkür aus schnell gestanzten Fertigteilen für ein zerbrechliches Experiment der Jahre 1978/79.

Mittlerweile baut Gehry auch mit Beton und Stahl. Aus den Klienten mit Liebe für vergitterte Holzverschläge sind Filmstars, Museumsdirektoren und Fabrikverwalter geworden, die für die oberflächliche Künstlichkeit der kalifornischen Metropolen einen architektonischen Poeten gefunden zu haben glauben, der mit den baulichen Massen zaubert und sie zu Collagen kinematographischer Drehorte verwandelt, indem er Improvisationen aus dekomponierten Gebäudeteilen spielt. Als Gehry 1989 der Pritzker-Preis an die Brust geheftet wurde, weil aus den schrillen Tönen ehemaliger Fast-food -Architektur jetzt nur mehr feste Akkorde herüberhallen, glaubten viele, Gehrys bauliche Absurditäten als Ausdruck gesellschaftlichen Manierismus seien befriedet oder fielen einer Stereotypie anheim, die nichts Neues mehr bietet.

Gehrys Architektur aber ist der Hang zum Unvollendeten, zum Experiment geblieben. Sein erster europäischer Bau, das „Design Museum Vitra“ in Weil am Rhein (1989/90), dessen Entwurfskizzen, Pläne und Modelle zusammen mit den Zeichnungen des Architekten die Galerie Aedes ausstellt, entwickelt aus beinahe rechteckigen Kuben eine räumliche Kulisse, deren willkürliche Gebilde aus dem Kern herausplatzen und sich wie eine Phantasielandschaft um das Haus herum ansammeln. Die autonomen geometrischen Figuren wie Kreis, Dreieck, Kreuz oder Rhomben werden verzerrt oder gegeneinander postiert, sind verkantet, verquer oder brechen plötzlich auf und verschwimmen zu einer sich bewegenden Skulptur, die sich gegen die fertige Gestalt dadurch wehrt, daß feste Umrisse, Perspektiven und ausgewogene Proportionen fehlen. Die schwingenden Baukörper sind dabei wie zufällig verschachtelt, lösen sich von der herkömmlichen Form und zersplittern den Komplex, der sich im Innern jedoch in eine kontinuierliche Raumfolge zusammenfügt. In einer Ansicht meint man, das ganz in weiß gehaltene Museum gleiche dem chaotischen Sammelsurium eines südländischen Dorfes, dessen gekalkte Häuser sich wirr an einen schiefen Felsen klammern.

Trotzdem setzt sich in Gehrys Architektur eine verhaltene Rückkehr zur klassischen Moderne durch, deren Bauten immer weniger durch billiges Material, radikale Trümmerhaufen und explodierende Formen gekennzeichnet sind. Gehrys Dekonstruktivismus ist von einem fast fragenden, tastenden Umgang mit den Motiven der Moderne geprägt. Schon der gleitende Strich, der durch seine Zeichnungen wandert, begreift Architektur als aufgelöste Syntax baulicher Textur, ist ein spinnender Faden ohne Ende und scheint nach Kombinationen klassischer Themen zu suchen, will diese erforschen und ist nicht an der Übernahme oder ästhetischen Kontinuität ihrer Formen interessiert.

Zugleich steht Gehrys architektonische Phatansie auch für die Möglichkeit, das urbane Bild zu aktualisieren. Häuser als Objekte der Austauschbarkeit, der Beliebigkeit wie der Mode, schnell, industriell aus Blech gestanzt und Draht geflochten und mit einer ruhelosen dünnen zerbrechlichen Außenhaut, symbolisieren die rasende Vergänglichkeit, der Architektur ausgesetzt scheint, ist für den sofortigen Gebrauch gebaut und lebt nur für den Augenblick, ebenso wie ihre Bewohner. Damit ist sie zur Maske einer erstarrten Oberfläche avanciert, zu einer sozialen Physiognomie jener schnellen und falschen Geschichten, die sich hinter den Fassaden abspielen, zu deren Komplizen sich der Architekt macht. Architektur ist kurzlebig und auswechselbar wie Kleider, Mode, Styling und Couture. Bei Gehry Haute Couture.

rola

Die Ausstellung ist noch bis zum 10.August in der Galerie Aedes, S-Bahnbogen600, zu sehen, täglich von 10 bis 18.30Uhr. Der Katalog kostet 15Mark.