Reicher Jude gesucht!

■ Wie der Autor versuchte, für seinen zusammen mit Frans von der Meulen gedrehten Film „Soll sein - Jiddische Kultur im jüdischen Staat“ Geld aufzutreiben. Der Film wird in einer Kurzfassung heute abend um 21.45 Uhr vom Hessischen Rundfunk ausgestrahlt

Henryk M. Broder

Wenn irgendein Projekt leicht zu finanzieren sein müßte, dann dieses, dachte ich, als wir vor vier Jahren mit der Arbeit an diesem Film begannen. Das Interesse an jüdischer Kultur und Geschichte war überall mit den Händen zu greifen. Man konnte das Fernsehen nicht anmachen und 'Die Zeit‘ nicht aufschlagen, ohne einen Bericht über „Die versunkene Welt“ zu sehen oder mindestens drei Artikel über das Leben im Stedtl zu finden. Und hier hatte ich ein Thema, das die besten Voraussetzungen mitbrachte: Zum einen ging es um die so vielgerühmte ostjüdische Kultur bzw. was von ihr übriggeblieben war; zum anderen war der Schauplatz Israel, ein Land, für das man sich in Deutschland interessiert und verantwortlich fühlt wie für kein anderes. Und schließlich war es eine spannende Mischung: alte jiddische Revolutionäre, welche die „Internationale“ auf jiddisch singen, jiddische „Verweilung“, d.h. Unterhaltung, „Schmaltz und Schund“, wie man auf jiddisch sagt, wobei Schund nicht die abwertende Bedeutung hat wie im deutschen; und dazu die „Jiddischkeit“ des alten Stedtl, das in Mea Schearim in Jerusalem weiterlebt.

Es gab nur ein Problem bei der Sache, wir mußten mit der Arbeit schnell anfangen. Die meisten unserer Protagonisten waren in den Achtzigern, einige Anfang 90. Wir fingen also an, mit einigen Sendern (ZDF, SFB, ORF, WDR) zu verhandeln und zugleich zu drehen. Wann immer ein Ereignis war, das ich festhalten wollte - eine 1.-Mai-Feier bei den Bundisten, ein Auftritt von Jossi Papiernikoff oder Hertz Grosbard, eine Theateraufführung mit Bodo - drehte ich es, mit Frans van der Meulen oder mit Eberhard Tschepe, wenn einer der beiden im Lande war, oder mit israelischen Kamerateams, die ich tageweise anheuerte.

Filmemachen ist ein teurer Spaß. Ein Team kostet 500 bis 1.000 Dollar pro Tag, eine elf Minuten lange Filmrolle, unbelichtet bei Kodak, ca. 100 Dollar. Rechnet man die Kosten für Entwickeln und Kopieren hinzu, kosten elf Minuten Film etwa 300 Dollar. Und elf Minuten sind schnell vorbei. Wann immer ich eine neue Kassette einlegen ließ, dachte es kurz in mir: Das sind die nächsten 500 Mark, lohnt es sich? Für einen Drehtag kann man im Schnitt mit 2.000 Dollar Kosten rechnen. Aber das ist noch der billigere Teil des Unternehmens. Die meisten Kosten fallen an, wenn der Film geschnitten und bearbeitet wird.

Uns kam es darauf an, möglichst schnell viel Material zu sammeln, festzuhalten, was in einem Jahr oder vielleicht schon in einem Monat nicht mehr da sein würde. Derweil verhandelten wir mit den Sendern, die sich alle sehr viel Zeit ließen, und suchten nach Geldgebern, Sponsoren , Mäzenen, die uns den Film vorfinanzieren würden. Ich schaute mich im jüdischen Milieu um, in der zwar logischen, aber naiven Annahme, da jemanden finden zu können, für den 100.000 DM keine allzu große Summe und der großzügig, klug oder auch verrückt genug wäre, sie mir zur Verfügung zu stellen, bis unsere Verhandlungen mit den Sendern abgeschlossen waren. Wäre ich ein Bauherr, würde ich sagen: Ich brauchte eine Zwischenfinanzierung.

An einen Versuch, mich als Fund-raiser in eigener Sache zu betätigen, kann ich mich noch besonders gut erinnern. Ich wurde zu den Jüdischen Kulturtagen in Frankfurt eingeladen. Statt einen Vortrag zu halten, beschloß ich, die ersten unbearbeiteten - Muster des Films zu zeigen, ein wenig über Jiddisch in Israel zu reden und mein finanzielles Dilemma darzulegen. Ich hielt das für eine geniale Idee. Wenn irgendwo Geld zu holen war, dann hier, in Frankfurt, wo es mehr als nur einen „reichen Juden“ gibt. Ich führte also etwa eine halbe Stunde Rohmaterial vor - eine 1.-Mai-Feier bei den Bundisten und ein Boulevardstück mit Bodo -, und während ich über das Spektrum der jiddischen Kultur in Israel sprach und erklärte, warum ich über dieses Thema einen Film machen wollte, sah ich schon im Geiste einen Scheck nach dem anderen vor mit landen. Ich war sicher, ich würde mich vor Hilfsangeboten kaum retten können. Vor mir saßen die Spitzen der Frankfurter Jüdischen Gemeinde und amüsierten sich bestens. Einige sangen die Internationale auf Jiddisch mit, andere schlugen sich bei Bodo vor Vergnügen auf die Schenkel. Am Ende applaudierten sie ausgiebig, standen auf und gingen heim. Das war's, außer Spesen nichts gewesen.

Ich hatte alles überschätzt: meine Überzeugungskraft, die Großzügigkeit der reichen Juden und vor allem - den subjektiven Wert des Themas. Man war gekommen, um „a jiddisch Wertl“ zu hören, den Klang der Sprache hatte man noch aus Kindertagen im Ohr, und die vertrauten Laute gingen auch ein wenig ans Herz. Aber diesem Sentiment stand etwas anderes entgegen: das Bedürfnis, die eigene Herkunft zu überwinden. Schließlich hatte man es nicht nur in der Jüdischen Gemeinde, sondern auch in der Frankfurter Gesellschaft zu etwas gebracht, und jeder soziale Aufstieg hat seinen Preis. Zudem verstanden grade diejenigen, die ich anschnorren wollte, überhaupt nicht, warum diese Kultur einem nicht-jüdischen Publikum vorgeführt werden sollte. „Mir hat es gut gefallen, was Sie da gezeigt haben“, sagte mir ein jüdischer Mitbürger, „aber glauben Sie, daß man so etwas einem ganz normalen Publikum zumuten kann?“

Zwischendurch bekam ich auch Angebote, mit denen ich nicht gerechnet hatte. Der Sohn eines Münchner Import-Export -Unternehmens wollte den noch unfertigen Film an die BBC, Channel 4 und PBS New York vermitteln. Als Kommission für seine Bemühungen wollte er zehn Prozent haben. Nachdem ich ihn wissen ließ, daß ich keine Mühe haben würde, den fertigen Film selbst zu verkaufen, und daß ich das Geld für die Produktion bräuchte, hörte ich nichts mehr von ihm. Ein älterer jüdischer Herr aus Frankfurt mit Zweitwohnsitz in Bat Yam rief mich eines Tages in Jerusalem an und stellte ein Tauschgeschäft in Aussicht. Er hätte ein paar Freunde, die mir gerne helfen würden, ich müßte nur gewisse menschliche Eigenarten und Eitelkeiten entsprechend berücksichtigen, eine Einladung ins Fernsehen könnte das richtige Mittel sein... Zu jener Zeit moderierte ich mit Elke Heidenreich im SFB die Talkshow Leute. Was für eine wunderbare Gelegenheit für ein paar „Kowedjäger“ (Leute, die nach Auszeichnungen suchen, d.Red.), die vom Bundesverdienstkreuz bis zum promovierten Schwiegersohn schon alles haben, was man für Geld bekommen kann, ins Fernsehen zu kommen! Auch aus diesem Deal wurde nichts.

Ein Wiener Freund, der es gut mit mir meinte, stellte den Kontakt zum Bundeskanzleramt her. Der Zeitpunkt sei grade günstig, meinte er, wegen der Waldheim-Affäre sei man in Österreich bemüht, jüdische Projekte zu fördern, um den Ruch des Antisemitismus loszuwerden. Mir war's recht, für eine Million Schilling hätte ich Waldheim ein Attest geschrieben, daß er eine jüdische Großmutter hatte. Ich schrieb also an die für Kulturförderung zuständige Referentin im Wiener Bundeskanzleramt, die mich umgehend wissen ließ, sie hielte das Projekt für „äußerst interessant“ und sei gerne bereit, es „entsprechend zu befürworten“. Drei Wochen darauf teilte sie mir die Förderungsbedingungen mit: „Die Mittel sind in Österreich auszugeben, die Beschäftigung österreichischer Betriebe (wie Kopierwerk) muß gesichert sein, ferner muß ein thematischer Österreichbezug vorliegen...“ Ich antwortete, die Beteiligung eines österreichischen Betriebes würde das Vorhaben nur unnötig komplizieren; da der Film in Israel gedreht würde, würde das Geld zum größten Teil auch in Israel ausgegeben werden, und was den thematischen Österreichbezug angeht, ließe er sich allenfalls dadurch herstellen, indem gesagt würde, warum kaum noch jiddisch in Österreich gesprochen wird. Im übrigen sei es mir darum gegangen, eine Förderung für mein Filmprojekt zu bekommen und nicht meinerseits die notleidende österreichische Filmwirtschaft zu fördern. Ehrlich, ich war bereit, mich vom schlechten Gewissen der Österreicher korrumpieren zu lassen, ihnen als Alibi zu dienen - aber sie wollten nicht.

Ähnlich erging es mir mit den Vertretern jüdischer Gemeinden. Ein Schreiben an den damaligen Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland, Alexander Ginsburg, wurde nicht einmal beantwortet. Später erfuhr ich, daß Ginsburg damit beschäftigt war, Vorsorgemaßnahmen für den Fall seiner Entführung zu treffen - mit Geldern aus der Kasse des Zentralrates.

Der Präsident einer großen jüdischen Gemeinde in der Schweiz, den ich gebeten hatte, in seinem Bekanntenkreis nach Sponsoren zu suchen, teilte mir mit, er habe sich „ehrlich den Kopf zerbrochen“, was er tun könnte, dann habe er bei einigen Bekannten, „die über große Mittel verfügen, angefragt, ob sie bereit wären, etwas zu 'investieren'“, und daraufhin „leider nur Absagen“ erhalten. Er kenne „viele schwierige Geschäfte“, tröstete er mich, „aber das Filmgeschäft scheint mir eines der sehr schwierigen zu sein...“ - Wie wahr. Der „Beauftragte für das Kulturprogramm“ einer großen jüdischen Gemeinde, der mich über ein Jahr mit Verhandlungen und Versprechungen hingehalten hatte, schrieb mir, „daß Androhungen oder Beschimpfungen keine geeigneten Umgangsformen darstellen können“ - irgendwann war mir die Geduld ausgegangen, und ich hatte ihm Prügel angedroht.

Ein Versuch, mit Artur Brauner ins Geschäft zu kommen, erwies sich als ebenso fruchtlos wie ein von Freunden vermittelter Kontakt zu dem Basler Filmproduzenten Arthur Cohn. Brauner erklärte mir, mit „Bagatellprojekten dieser Art“ würde er sich nicht abgeben, das wäre „was fürs Fernsehen„; er verwies mich an einen ARD-Redaktuer, eine öffentlich-rechtliche Schlafmütze erster Klasse, auf dessen Schreibtisch das Expose und die Kalkulation noch heute liegen würden, wenn ich sie nicht nach einem halben Jahr Wartezeit persönlich abgeholt hätte. Als der Film fast fertig war, versuchte ich es noch einmal bei Artur Brauner. Diesmal teilte er mir mit, er wäre „mit vier großen Filmprojekten, die jüdische Themen aufweisen“, beschäftigt, mit denen er „voraussichtlich siebenstellige Zahlen verlieren“ würde. Er hoffe, schrieb er mir von Produzent zu Produzent, daß es mir gelingen würde, „eine andere Quelle zu finden... und diese wichtige Aufgabe mit Hilfe von Dritten zu verwirklichen“. Ich war gerührt und bot dem Kollegen Brauner meinerseits Hilfe an. Ich könne, schrieb ich ihm nach Berlin, mein „Sparschwein schlachten, das mich seit meiner Kindheit begleitet - der Inhalt wäre nicht allzu üppig, dafür garantiert koscher“.

Arthur Cohn wiederum, der Basler Produzent, dem ein Ruf als Förderer der Künste und Talente vorausgeht, schien anfangs interessiert, hatte dann aber Bedenken, ob ich einen Film machen könnte und ob ein öffentlich vorgeführtes „Jiddeln“ nicht antisemitische Ressentiments provozieren würde. „Im übrigen“, meinte er, wäre er „kein Mäzen“, sondern „ein kreativer Filmproduzent“.

So ging es drei Jahre lang. Ich schrieb Dutzende von Briefen, verschickte Exposes und Kalkulationen, war mal höflich, mal frech - das Ergebnis war immer dasselbe: im besten Falle eine Absage mit dem Ausdruck des aufrichtigen Bedauerns, und meistens nicht einmal das.

Allerdings, völlig erfolglos war meine Suche nach einem Mäzen nicht. Ich fand zwar nicht den einen „big spender“, der mir 100.000 DM auf den Tisch gelegt hätte, dafür aber etliche kleine Mäzene, die nicht einmal lange bearbeitet werden mußten. Ein Frankfurter Kaufmann, eine Schweizer Verlegerin, ein Kleiderfabrikant aus Westfalen, ein New Yorker Kunsthändler sammelten in ihrem Bekanntenkreis und schickten mir dann die Erträge. Die Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur in München überwies was, die deutsche Botschaft in Tel Aviv gab einen Zuschuß zur Herstellung der Untertitel. So kamen im Laufe von zwei Jahren rund 90.000 DM zusammen. Und als der Film fast fertig war, entschloß sich der WDR, einen 45minütigen langen Teil für 100.000 DM zu kaufen. Alles in allem hat uns der Film über 250.000 DM gekostet. Allerdings sind in dieser Summe weder die Buch- und Regiehonorare für Frans van der Meulen und für mich enthalten noch die Anerkennungsgagen, die bei Dokumentationen dieser Art bezahlt werden. Mike Burstyn und seine Truppe haben für uns ebenso honorarfrei gespielt wie Jakov Bodo, keiner unserer Protagonisten, mit Ausnahme von Shmuel Rodensky, bekam ein Honorar. Regulär bezahlt wurden nur die Kamerateams, mit denen wir drehten, aber dieser Posten machte den kleinsten Teil des Etats aus. Der Löwenanteil des Geldes ging für die technischen Herstellungskosten drauf, also für das Material, das Kopierwerk, die Tonbearbeitung usw. Würde dieser Film, der 135 Minuten lang ist, richtig kalkuliert werden, also einschließlich aller Unkosten, der Honorare, der sog. Handlungskosten, des Produzentengewinns und der Mehrwertsteuer, käme ein Betrag von rund 350.000 DM zustande. Auch damit wäre der Film noch immer preiswert hergestellt. Er hätte dann genau ein Prozent der Summe gekostet, die Werner Nachmann veruntreut hat. Oder andersrum: Von dem Geld, das Werner Nachmann in seinem Schrottbetrieb und den Boutiquen seiner Freundin versenkt hat, hätten hundert Filme dieser Größenordnung gemacht werden können.

Soll sein.

Broders Text erscheint demnächst in einem Buch zum Film: Soll sein, Ölbaum Verlag, PF 11 17 28, 89 Augsburg. Mit weiteren Texten von Salcia Landmann, Otto F.Best und Nathan Birnbaum. Auf Betreiben des letzteren trat 1908 in Czernowitz eine Sprachenkonferenz zusammen, auf der jiddisch neben hebräisch zu einer der beiden Nationalsprachen des jüdischen Volkes erklärt wurde.