Neue Massenfestnahmen in China

■ Über 3.000 Personen in der Provinz Jiangsu verhaftet / Geldsummen für studentische Demokratiebewegung beschlagnahmt / 'Volkszeitung‘ beschuldigt Freud, Sartre, Nietzsche und Kant / Die Kultur soll wieder dem Volke dienen - wie unter Mao

Peking (taz/afp) - Auch fünfzig Tage nach dem Massaker der chinesischen Armee auf dem Tiananmen-Platz in Peking gibt es keinerlei Anzeichen für ein Nachlassen der Repressionswelle, die vor allem die Universitäten in den großen Städten überzieht. Ganz im Gegenteil: In den letzten drei Tagen wurden in der Provinz Jiangsu im Südosten Chinas über 3.000 Personen festgenommen und große Geldsummen beschlagnahmt, die zur Unterstützung der Demokratiebewegung bestimmt waren.

Wie die Provinztageszeitung 'Neues China‘ berichtete, waren unter den 3.782 „Kriminellen“, die zwischen dem 13. und 15. Juli festgenommen wurden, Führer von verbotenen Organisationen und Teilnehmer an Demonstrationen der Demokratiebewegung. Unter anderem sei in einem Hotel der Provinzhauptstadt Nanking Xu Chong, der Generalsekretär eines unabhängigen Studentenbunds der angrenzenden Provinz Anhui, festgenommen worden. Außerdem habe die Polizei Geld im Wert von über 10.000 Dollar sichergestellt, das meiste davon in ausländischen Währungen wie Hongkong Dollars, Yen und Britischen Pfund. Das Geld sei von dem bereits in Peking festgenommenen Studentenführer und Schatzmeister der Bewegung, Cheng Mingxia, in Jiangsu versteckt worden.

An den Universitäten und im kulturellen Sektor geht die Kampagne gegen „westliches Gedankengut“ im vollem Umfang weiter und treibt neue Blüten. Mittlerweile wurden die Schuldigen für die „geistige Verschmutzung“ ausgemacht: Wie die offizielle 'Volkszeitung‘ berichtete, wären Zweifel am Marxismus-Leninismus niemals aufgekommen, wenn nicht zahlreiche Intellektuelle - unter ihnen gar Kommunisten sich von westlichen Denkern wie Freud, Sartre und Nietzsche hätten beeinflussen lassen. Die 'Volkszeitung‘ verwandte am Dienstag für die Schmähung des „bourgeoisen Einflusses“ aus dem Westen gleich eine ganze Seite und beschuldigt den ausgeschalteten ehemaligen Parteichef Zhao Ziyang, zur Verbreitung dieser fremden Theorien mit beigetragen zu haben. In dem Artikel heißt es, es sei bedauerlich, daß „eine Zeitlang ein Teil unserer Genossen damit begonnen hat, die führende Rolle des Marxismus in den Bereichen Kultur und Kunst in Frage zu stellen“. Doch ungeachtet der Schmähung Zhao Ziyangs findet die Biographie des in Ungnade gefallenen Politikers auf dem Schwarzmarkt reißenden Absatz - zum doppelten Preis.

Bücher von Schriftstellern, die auf der Liste von Pekings Bügermeister Chen Xitongal als „bürgerlich-liberal“ und „Beitrag zur geistigen Verschmutzung“ indiziert wurden, verschwinden aus den Regalen der Geschäfte. Zu den so gebrandmarkten Autoren gehören beispielsweise die Schriftsteller Fang Lizhi und Lui Binyan oder die Journalistin Dai Qing. Biographien mißliebiger Politiker verschwinden ebenfalls in der Versenkung oder dürfen nicht mehr aufgelegt werden. Auch Pornographie und sogenannte „Schundromane“, die die Partei ebenfalls für den westlichen Einfluß verantwortlich macht, werden beschlagnahmt.

Im Bereich von Kunst und Literatur herrscht mittlerweile wieder der „Geist von Jenan“, jenes Ortes also, der Mao Zedong vor dem Sieg der chinesischen Revolution als Hauptquartier diente. Eine Rede Maos aus dem Jahre 1944, in der er erklärte, die Kunst müsse den Massen dienen, wird ausdrücklich als „nicht von der Zeit überholt“ bezeichnet. „Kunst in China muß in erster Linie den Arbeitern, Bauern und Soldaten dienen“, heißt es denn auch, getreu nach den alten Worten des Großen Steuermanns, in der 'Volkszeitung‘.

Und so tauchen wieder Musikgruppen auf, die den TV-Zuschau

ern die alten Propagandastücke aus der Mao-Zeit vorspielen. Bei solchen Sendungen stehen Lieder wie „Ohne kommunistische Partei gäbe es kein neues China“, „Partei, ah, geliebte Mama“ und Soldatenschlager im Vordergrund.

P.S./B.S. Tagesthema auf Seite 3

Dokumentation auf Seite 8