Der Bauch gehört den Richtern

■ Kanadisches Berufungsgericht bestätigt Abtreibungsverbot für 21jährige Frau / Exfreund war vor Gericht gegangen / Richter sprechen Embryo Recht auf Leben unabhängig von der Mutter zu / Oberster Gerichtshof soll schnellstmöglich Entscheidung überprüfen

Quebec/Berlin (taz/afp/dpa) - Abtreibungsverbot per Gerichtsentscheid: Die Kanadierin Chantal Daigle darf auf Antrag ihres Exfreundes keine Abtreibung vornehmen. Das Berufungsgericht in Quebec bestätigte in 2.Instanz das über die 21jährige verhängte Verbot mit der Begründung, ein „gezeugtes Kind sei kein Objekt und nicht das Eigentum einer Person“, sondern ein „menschliches Wesen, das unabhängig von der Mutter ein Recht auf Leben“ habe. Chantal Daigle ist jetzt im dritten Monat schwanger. Sie hatte sich in den ersten Wochen der Schwangerschaft von ihrem Freund getrennt und zu einer Abtreibung entschlossen. Die Richter, die ihre Entscheidung mit drei zu zwei Stimmen fällten, hielten ihr entgegen, die Auflösung einer Beziehung stelle kein ausreichendes Motiv für eine solche Entscheidung dar.

Die Anwälte von Chantal Daigle setzten sich sofort mit dem Obersten Gerichtshof in Ottawa in Verbindung. Die Verfassungsrichter sollen dazu bewegt werden, ihre Sommerpause sofort zu unterbrechen und zu untersuchen, ob das frauenverachtende Verbot mit der kanadischen Charta der Menschenrechte zu vereinbaren ist. Bei kanadischen Frauen hat die Gerichtsentscheidung große Empörung hervorgerufen. „Frauen werden auf ihre Bäuche reduziert“, erklärten Mitglieder der Quebecer Frauenorganisation. „Kein Papst, keine Richter, kein Arzt, kein Ehemann, allein die Frau entscheidet“, skandierten sie nach Bekanntwerden des Urteils. Die Entscheidung des Quebecer Gerichts ist vor dem Hintergrund, daß Abtreibungen in Kanada straffrei sind, noch brisanter. Erst 1988 hatte der Oberste Gerichtshof die bis zu diesem Zeitpunkt gültige Indikationenregelung aufgehoben. Kanada bewegt sich seitdem in einem juristischen Vakuum. Premierminister Brian Mulroney kündigte unmittelbar nach der Urteilsverkündung an, dem Parlament nach der Sommerpause einen neuen Gesetzentwurf zur Abtreibung vorzulegen. In der kanadischen Öffentlichkeit hat der „Fall Daigle“ zu heftigen Kontroversen zwischen „LebensschützerInnen“ und BefürworterInnen der Abtreibungsfreiheit geführt. Anhänger aus der Bewegung „Pro Vie“ hatten vor einigen Tagen die 22jährige Barbara Dodd präsentiert, die öffentlich bedauert hatte, gegen den Willen des Vaters abgetrieben zu haben. Ihr war die Abtreibung von einem Berufungsgericht genehmigt worden. Barbara Dodd hatte unter Tränen an Chantal Daigle appelliert, das Kind auszutragen.

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