B R U C H P I L O T I N

■ Gastkolumne von Jochen Esser, Redakteur des AL-Magazins "Stachelige Argumente"

des AL-Magazins 'Stachelige Argumente‘

Die Senatorin Anne Klein hat entweder sieben Freundinnen oder Bekannte um 21.000 Mark erleichtert, oder sie hat mit diesen zusammen eine größere Anzahl von Bekannten um einen ensprechend größeren Betrag gebracht. Nun ist es im Kapitalismus nicht verboten, die Blödheit seiner Mitmenschen auszunutzen, sofern diese ihr Risiko im Prinzip überblicken können. Die Perfidie dieser Konstruktion liegt in ihrer Doppelbödigkeit: Überblickten die Geprellten wirklich ihre Lage, wären sie auch nicht so blöd, sich prellen zu lassen. Waren sie aber blöd genug, sich ausnehmen zu lassen, dann waren sie eben auch nicht fähig, ihr Risiko richtig einzuschätzen.

In einem Land, dessen Rechtssystem die Moral in Sachen Gelderwerb halt nicht besonders hochhält, darf natürlich auch Anne Klein sich diesen Mechanismus zunutze machen. Doch wird deswegen die ganze Angelegenheit keineswegs zu einer „im Grunde lächerlichen Geschichte“, wie C.C. Malzahn in der taz meint. Denn die soziale und menschliche Kälte mit der sich einige beim Pilotenspiel nach dem Motto „Den Letzten beißen die Hunde“ an die Spitze setzten, „mindestens zwei Idioten ins Schlepptau nahmen“ (C.C. Malzahn) und deren Gutgläubigkeit oder auch nur Geldgier ausnutzten, kann einem schon den Atem verschlagen. Und zu diesen gehörte augenscheinlich auch Anne Klein.

Es ist bezeichnend für die CDU, daß nicht diese Goldgräbermentalität im Mittelpunkt ihrer Kritik steht, sondern Gefasel von der Vorbildfunktion der Senatorin für spielsüchtige Jugendliche. Dabei sieht doch ein Blinder, daß Anne Kleins Verhalten nicht denen ähnelt, die ihre Knete im Casino verjuxen oder im Spielsalon verplempern, sondern eher jenen abgebrühten Typen, die in Kneipen auf den „dritten Mann“ lauern, um ihn beim Skat abzuzocken. Die CDU ist eben auch nur eine Filiale des Großkonzerns „Clever & Smart“.

Überhaupt hätte sich der „Goldkreis-“ und Pilotenunfug ohne die Politik der Wende nicht so verbreiten können. Erst das Gebräu aus technologischer Umwälzung, Entwicklung zur Zweidrittelgesellschaft, Umverteilung von unten nach oben, gepaart mit den Parolen „Bereichert Euch“, „Leistung muß sich wieder lohnen“ und „Feiert die Feste, wie sie fallen“ schuf den Zeitgeist der achtziger Jahre mit seinem besonders üblen Geschmack. Erst auf diesem Boden und in dieser Atmosphäre konnte jenes ökonomisch begründete oder auch nur eingebildete Yuppietum gedeihen, das Geldverdienen mit Lebenslust gleichsetzte oder besser: verwechselte.

Und spätestens hier beginnt das Problem der AL, auf deren Ticket Anne Klein durch die politische Landschaft reist. Denn die AL, mit ihrer in Angehörige der „Neuen Armut“ und der gutverdienenden Mittelschicht gespaltenen Wählerschaft, versucht sich der Entwicklung zur Zweidrittelgesellschaft und ihren Begleiterscheinungen entgegenzustellen, um ein solidarisches mitmenschliches Leben zu ermöglichen. Die AL versucht, die Modernisierungsopfer zu erreichen und dieses Feld nicht völlig dem rechtsradikalen Populismus der REPs und ihrem Diskurs aus Rassismus, Sozialneid und dumpfen Protest gegen „Die da oben“ zu überlassen. Und in diese Situation platzt die Nachricht, daß eine von der AL vorgeschlagene Volksvertreterin alle Untugenden von „Denen da oben“ trefflich beherrscht: Sich nach oben drängeln und Ellenbogen einsetzen, andere Leute beschwatzen und ausnutzen, aus ihrer Unachtsamkeit Kapital schlagen und das Ganze kräftig abfeiern. Auch wenn's tausendmal jakobinisch klingt: Der Linken in dieser Stadt stünde eine andere Repräsentantin besser zu Gesicht.