Vorlauf: Wohin? Mal sehen!

■ Überall ist es besser, wo wir nicht sind

(Überall ist es besser, wo wir nicht sind, 22.30 Uhr, ZDF) Die Liebe des neuen Deutschen Films zum „road movie“ ist bekannt. Die meist wortkargen Helden, die von unbestimmer Sehnsucht getrieben durch die Welt vagabundieren - sie trifft man in allen Filmen von Wim Wenders, aber auch in Werner Herzogs Strozek. Die deutsche Spielart des „road movies“ kennt im wesentlichen zwei Spielarten. Erste Variante: Das Umherziehen hat dem Helden vor Augen geführt, daß es so wie bisher nicht weitergehen kann, oder um es mit dem berühmt gewordenen Satz aus Wenders Im Lauf der Zeit zu sagen: Es muß alles anders werden. Zweite Variante: Das Herumtreiben führt zu nichts. Das Sinnstiftende, das Klärende findet nicht statt. Ein bevorzugtes Motiv dieser Version ist ein Kreis oder eine kreisförmige Bewegung. Kurz bevor sich Herzogs Strozek das Leben nimmt, setzt er einen Kleinlaster in Gang, der mit eingerastetem Lenkrad ständig im Kreis fährt. Überall ist es besser, wo wir nicht sind tendiert zu dieser Variante.

„Wohin?“, fragt der junge Pole in Kliers Film, und sein Akzent ist dabei nicht zu überhören. Wenig später erwidert er auf die Frage, wie es nun mit ihm weitergehen soll, lakonisch: „Mal sehen.“ Eigentlich ist damit alles gesagt.

Kliers „road movie“ beginnt in Warschau. Jerzy, die nomadische Existenz, durchstreift die Stadt. Am Abend kehrt er in seine Stammkneipe ein. Ewa, die neue Bedienung, gefällt ihm, doch ernsthafte Anstalten, sie kennenzulernen, unternimmt er nicht. Für Jerzy steht längst fest, daß er Polen verlassen wird. Als unvermittelt der wohlbekannte Schriftzug von Aldi auftaucht, wird deutlich, daß Jerzy in West-Berlin ist. Doch auch hier bleibt er nicht lange, denn sein Ziel ist Amerika. Warschau, West-Berlin, New York, das sind die Stationen einer Odyssee, deren Ende nicht abzusehen ist. „Denk daran“, sagt Ewa, die Polen ebenfalls verlassen hat und die Jerzy zufällig in Amerika wiedertrifft, „denk daran“, sagt sie, „viel weiter nach Westen geht es nicht mehr.“

Für die Rolle des Jerzy konnte Michael Klier Miroslaw Baka gewinnen, der schon für Kieslowskis Ein kurzer Film über das Töten im unwirtlichen Warschau herumgeirrt ist. Sie könnten sich begegnet sein, Kliers Jerzy, kurz vor dem Absprung, und Kieslowskis Jacek. Sie stammen beide aus denselben desolaten Verhältnissen. Doch Jerzy hat noch Illusionen, träumt noch von einer besseren Zukunft, glaubt noch, Überall ist es besser, wo wir nicht sind, und das treibt ihn voran. Aber mit der Bewegung kommt die Demontage der Träume, denn in Kliers Film schnurrt die Welt zusammen. Warschau, West-Berlin, New York; im Film heißt das: schäbige Kneipen, abgefahrene Hotelzimmer und natürlich Straßen. Keine Highways, sondern Stadtstraßen, die in Kreuzungen einmünden. Mehrmals zeigt der Film den jungen Polen, wie er an einer Kreuzung ankommt, innehält und mal diese, mal jene Straßenschlucht ins Auge faßt. Dann trottet er weiter. Wohin? Mal sehen.

Als Jerzy in New York die Melodie des polnischen Liedes wiedererkennt, das in seiner Stammkneipe zu hören war, muß er denn unwillkürlich dem Musikanten folgen. Dieses vermeintliche Stück Heimat in der Fremde - plötzlich ist es von großer Wichtigkeit. Der Musiker führt den Umherirrenden in eine Kneipe. Hier trifft er Ewa wieder. Der Kreis hat sich geschlossen.

Friedrich Frey