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Computer gegen Armut

■ Von den Fragwürdigkeiten des Technologietransfers in die Länder der sogenannten Dritten Welt

Werner E.Breede

Geht es um die Vorteile der Informations-Technologie für die Dritte Welt, so werden folgende Schlagworte in die Waagschale geworfen: Computersysteme (Hard-, Soft- und Brainware) erhöhen die Produktivität der einheimischen Industrie und verbessern so deren internationale Wettbewerbsposition. Die Telematik verschafft den Zugang zum internationalen Tourismus genauso wie die globalen Finanztransaktionen. Die doppelte Ausfertigung schon vorhandener Datenbanken und -basen stellt für Entwicklungsländer eine Verschwendung anderweitig benötigter Ressourcen dar.

Teletransaktionen machen wichtige, im Ausland gespeicherte Daten zugänglich. Potentielle Kosten können dadurch gesenkt werden, daß nationale Daten billiger im Ausland verarbeitet werden. Das technische Know-how, das zusammen mit den ausländischen Datenverarbeitungskapazitäten angeboten wird, läßt sich zumindest indirekt auch zugunsten der einheimischen Entwicklung ausschlachten. Stichwort: Aufbau adaptiver Software im Rahmen der Süd-Süd-Kooperation (siehe z.B. die sogenannte „Kilimandscharo-Deklaration“ von Juli 1987, Castafrika II - Conference of Ministers on the Application of Sience and Technology for Development in Africa, 6. bis 15.Juli 1987 in Arusha, Tansania).

Bei Remote Sensing, d.h. der Auswertung der durch Fernerkundungssatelliten gesammelten Daten, läßt sich z.B. die Wettervorhersage verbessern; können Standorte aufgespürt werden, die für seismologische Störungen anfällig sind; kann diejenige Region festgelegt werden, die sich für den Anbau von Feldfrüchten oder für die Ausbeutung von Rohstoffen besonders gut eignet. Bildungskapazitäten werden durch Fernunterricht via Satellit und Kabel genauso gesteigert wie etwa die Gesundheitsversorgung (Telemedizin). Und last but not least: Die Arbeit der Regierungsapparate wird durch Fernzugriff auf die besten, neuesten Informationsbestände effektiver gestaltet (vgl. etwa den ersten weltweiten Vertrag für integrierte internationale Telekommunikationsdienste und Netzwerke, im Dezember 1988 von 113 Nationen in Melboune angenommen). Die Büchse der Pandora

VertreterInnen eines kritischen Kosten-Nutzen-Ausgleichs packen gegenüber dieser scheinbar erfolgversprechenden telematischen Integration des Südens in die Weltwirtschaftsordnung eine Reihe von Gegenargumenten in die andere Waagschale: Die Compunikation scheint die Konzentration von denjenigen Technologien, die die automatische Datenverarbeitung umlagern, in ganz wenigen Ländern des Westens und Japans zu beschleunigen. Die bestehende technologische Kluft zwischen Nord und Süd bildet geradezu den Katalysator einer noch tiefgreifenderen Entwiclung zur Unterentwicklung (die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer). Wobei der internationale Schutz des geistigen Eigentums vor allem mittels des Systems des Datenrechts zunehmend an Gewicht gewinnt.

Zwar ist das Reservoir an Man-und-Woman-Power des Südens im Bereich der Datenverarbeitung in den vergangenen Jahren insbesondere in den Newly Industrialized Countries (Nics) erheblich angewachsen, so daß es zum Teil sogar zu einem braindrain etwa aus Asien und Lateinamerika in Richtung westliche Industriestaaten kommt. Aber die Abhängigkeit vom Expertentum aus dem Norden (incl. Wartung und Ersatzteile) bleibt grundsätzlich bestehen. Sie könnte darüber hinaus zur Folge haben, daß weder entsprechende Ausbildungsgänge angeboten werden noch gleichgewichtige Forschungs- und Entwicklungskapazitäten Fuß fassen.

Die Tatsache, daß transnationale Konzerne Motor und größter Nutznießer der Telematik sind, bestimmt den Verlauf der Datenströme. Der Rohstoff in Form billiger Rohdaten wird eher von Süd nach Nord fließen, die aufbereiteten teureren Datenstämme kehren dann gewinnbringend aus dem Norden in den Süden zurück (partielle „Enteignung“ von Information und Wissen aufgrund eines unausgeglichenen Preisniveaus). Dadurch erhöht sich die Gefahr, daß sich die nationalen Zahlungsbilanzprobleme verschärfen und somit die Auslandsverschuldung zunimmt.

Die Chancen der Entwicklungsländer für einen entscheidenden Einfluß auf eine günstige Tarifgestaltung im Telematiksektor werden auch für die Zukunft als gering, wenn nicht „gleich Null“ eingeschätzt; nicht zuletzt im Hinblick auf den jeweiligen hohen Verschuldungsgrad. Fürchten die multinationalen Unternehmen vor Ort keine Konkurrenz, könnten sich Preise auf einem relativ hohen Niveau einpendeln (vgl. aber auch 'Frankfurter Rundschau vom 2.Mai 1986: AEG-Kabel rechnet für die nächste Zeit kaum mit größeren Umsatzsteigerungen im Ausland. Der Bedarf der Schwellen- wie auch der Entwicklungsländer an Stromverteilungs- und Nachrichtenübertragungsnetzen sei zwar unverändert hoch. Doch scheiterten zahlreiche Projekte am Geldmangel. Siehe dagegen 'FR‘ vom 29.April 1989: Mit dem längsten Glasfaserkabel in einem Stück, das bislang im Meer verlegt wurde, sind die fast 100 Kilometer voneinander entfernten philippinischen Inseln Cebu und Negros verbunden worden. Gefertigt wurde das nicht einmal fingerdicke Lichtwellenleiter-Seekabel mit vier haarfeinen Glasfasern im Siemens-Kabelwerk Neustadt/Coburg während eines fünf Tage dauernden Herstellungsprozesses rund um die Uhr.). Mit niedrigen Angeboten ließen sich gegebenenfalls einheimische Bemühungen vereiteln, selbständige Datenverarbeitungskapazitäten aufzubauen; bereits vorhandene könnten auf diese Weise ruiniert werden. Lokale Subsistenzproduktion

Was die Ressourcen für den Einsatz von Remote-Sensing -Daten betrifft, so sind diese zwischen Dritte-Welt-Staaten und den transnationalen Multis meist völlig einseitig verteilt. Installation der Anlagen und/oder die Fachkompetenz zur Bearbeitung der Daten liegen in den Händen großer westlicher oder japanischer Industriekonzerne bzw. Institutionen.

Und schließlich wird eingewendet, daß sich selbst auf der primitivsten Stufe der Teletransaktionen ein Problem ergebe: Wie können Dritte-Welt-Länder die Telematik sinnvoll einsetzen, wenn die Telekommunikations-Infrastrukturen generell spärlich entwickelt sind und die Versorgung mit Elektrizität sich als mangelhaft erweist?

Einen Schritt weiter in dieser Kritik ging Brigitte Erler in ihrem 1985 erschienen Bericht von ihrer letzten Dienstreise in Sachen Entwicklungshilfe nach Bangladesch, zweite Jahreshälfte 1983 (Titel: Tödliche Hilfe). In dem Kapitel mit der Überschrift „Tatwaffe Telefon“ stellte sie definitiv fest: „So wie die landwirtschaftlichen Projekte zur Vernichtung der Existenz von Kleinbauern und damit zu ihrem Ruin führen, so bewirkt die Entwicklungshilfe auf dem industriellen Sektor Unselbständigkeit, Abhängigkeit und damit Manipulierbarkeit auf höherer Ebene.“

Die in dieser radikalen Position offenbar eingeschlossene Alternative einer ökologischen, lokalen Subsistenzproduktion vor allem in der Landwirtschaft und im Handwerk findet sich direkt ausgesprochen z.B. auch in zwei Berichten über Selbsthilfeprojekte für Frauen und Kleinbauern und -bäuerinnen in Bangladesch und Venezuela, verfaßt von Christel Neusüß und Petra Seitz in der tageszeitung (taz) vom 11.Oktober 1986. Diese Projekte entwickeln ihre Kraft nach Einschätzung der Autorinnen vom „Boden des Fasses“ aus. Und dabei ist der Computer bzw. das Computernetzwerk in weite Ferne gerückt: „Eine Bäuerin wird Führerin einer Gruppe von 2.800 Landlosen, die um Boden kämpfen, den sich die Grundherren unrechtmäßig angeeignet hatten. Die Dokumente über den Landraub aus 300 Jahren werden gesammelt. Die Bauern experimentieren mit ökologischem Landbau, d.h. mit der alten Form der indianischen 'conuco‘, welches auf 'Liebe zur Erde‘ beruht.“ (Christel Neusüß, a.a.O.; Besprechung eines Buches von Claudia von Werlhof,Wenn die Bauern wiederkommen. Frauen, Arbeit und Agrobusiness in Venezuela, Edition CON, 1985).

Die universelle Strategie zur Einführung und Anwendung von Informations- und Kommunikations(IuK)-Technologie entpuppt sich als IuK-Technopolitik. Materielle sowie ideologische und kulturelle gesellschaftspolitische Streitpunkte, einschließlich der globalen, können scheinbar informations- bzw. computertechnisch übersetzt und so „gelöst“ werden.

Das ist nun leider eine besonders gesalzene und gepfefferte Suppe, die uns die bedenkenlosen Verfechter der „Neuen Technologie und Medien“ eingebrockt haben. Das selbstorganisiert politisch denkende und handelnde autonome weibliche und männliche Subjekt, das gegen die herrschende Strömung zu schwimmen versucht, muß aus dieser Vision einer „Brave New World“ grundsätzlich verschwinden. Zugespitzt ausgedrückt: In einem derartigen Modell einer Techno -Gesellschaft mit dem „Kommissar Computer“ nicht nur als gesetzestreuer Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft wird der fortschrittskritische homo politicus zu einem Sicherheitsrisiko. Technik ersetzt Politik

Denn der strebt u.a. den Stopp aller hektischen Neuerungen an, wünscht den Ausstieg aus der Warenförmigkeit jeglicher Sozial- und Arbeitsverhältnisse des „Präventionsstaates“. Die Politik als spezifische moderne Sphäre der menschlichen Tätigkeit droht - wenn überhaupt noch geduldet

-an die Peripherie (!) sozialer Konfliktherde abgeschoben zu werden. Politik in dem hier gemeinten Sinn zum einen verstanden als Handlungs- und Wirkungsbereich, in dem unterschiedliche, aber potentiell gleichberechtigte Interessen von Nationen, Völkern, Geschlechtern, Rassen, Klassen, Gruppen, Bürgerinitiativen usw. usf. entstehen und aufeinanderprallen. Politik zum anderen auch und gerade begriffen als Ort, wo das Erbe heutiger und früherer gewalttätiger patriarchaler Kulturen noch als ein besonders wertvolles, wenn auch schmerzhaftes Vermögen erinnert wird. Als ein Vermögen nämlich, dem trotz des christlich-abendländischen „Macht -euch-die-Erde-untertan„-Gebots das Sehen, Hören und Fühlen bis zum heutigen Tag nicht vergangen ist. Politik als spezifische moderne Sphäre menschlicher Gestaltung drittens gesehen als globale, regionale, nationale und kommunale Drehscheibe, auf der sich Informationen, Meinungen und Taten direkt und öffentlich beweisen („grassroots pressure“). Denn die zunehmende Erosion der informativen und kommunikativen Freiheiten (informationelles Recht auf Selbstbestimmung; Glauben und Gewissen; Meinungsbildung, -äußerung und -verbreitung; Presse, Film, Rundfunk; Wissenschaft und Kunst; Versammlungen etc.) scheint nicht erst seit gestern das Regel-Ausnahme-Prinzip langsam aber sicher in sein Gegenteil zu verkehren. Jüngere Beispiele (die nur die Spitze des Eisbergs bilden) tauchen etwa in diesen Schlagzeilen auf: „Gentechnik im Geheimen? Neues Gesetz will Öffentlichkeit weitgehend ausschließen.“ Und: „Frankreich und USA tauschen sich über Ziele von Atombomben aus. Die beiden Staaten sind insgeheim seit 1972 Nuklearpartner“ ('FR‘ vom 27.4. und 29.5.1989). Politik viertens charakterisiert als eine Art „Commedia dell'Arte“, in der gerade wegen der „Ethik der individuellen Autonomie“ nach bestimmten rechtstaatlichen, d.h. demokratischen formalen Verfahren und anerkannten inhaltlichen Normen gesucht wird. Und zwar mit dem Ziel, entgegen der von den dumpfomnipotenten Militär-, Wirtschafts - und Politikdoktrinen verursachten weltökologischen Krisendynamik einen friedens-ökologischen Kompromiß zu finden, der die Informations- und Kommunikationsökologie (nicht -technologie) zu einer seiner unabdingbaren Grundlagen macht.

Diesen relativ langatmigen Gedankengang zum Verhältnis von fundmentalistischer, natur- und umweltschädigender Technopolitik einerseits und polykultureller, demokratischer Toleranz auch und gerade gegenüber querdenkenden und -handelnden „Minderheiten“ andererseits (ohne den Computer als „Tatwaffe“, wohl aber gegebenenfalls als sinnvoll einzusetzendes „Werkzeug“) brachte der Informatiker Rene Gonzalez Rojas im letzten Jahr einmal auf folgende knappe Formel: „Die Auszehrung von Demokratie kann nicht durch moderne Technologie oder Informatik ersetzt werden - eher wird die Demokratie mehr eingeschränkt. Der Computer als Werkzeug kann weder Wunder bewirken noch alle Probleme lösen“ (Computer und Grundbedürfnisse. Überlegung zur Nutzung von Computern in Basic-Needs-Projekten. Papier für die Tagung „Computer in Entwicklungsländern“ vom 23. bis 25.Juni 1988 in Berlin).

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