50 Milliarden für Stillegung von acht AKWs

Britische Regierung streicht acht Uralt-Kraftwerke aus dem Privatisierungsprogramm / Pleite-Reaktoren bleiben am Tropf der Steuerzahler, um die Privatindustrie vor unprofitablen Unternehmensteilen zu bewahren / Britische AKWs nach den indischen am zweitschlechtesten ausgelastet  ■  Von Ralf Sotscheck

Die schlechten Staatsbetriebe bleiben am öffentlichen Finanztöpfchen, die guten dagegen wandern ins feinschmeckerische Kröpfchen der Privatwirtschaft. Diese alte Volksweisheit der politökonomisch aufgeklärten Öffentlichkeit bewahrheitet sich ein ums andere Mal - nicht zuletzt beim doch eigentlich so umfassend angelegten britischen Privatisierungsprogramm. So müssen jetzt die britischen SteuerzahlerInnen die Rechnung in Höhe von 50 Milliarden Mark für die Stillegung acht veralteter Atomkraftwerke übernehmen, nachdem der ehemalige Energieminister Cecil Parkinson diese Magnox-AKWs in letzter Minute aus dem Privatisierungs-Programm der Stromindustrie herausgenommen hat. Damit bleiben zwei Drittel der britischen Atomindustrie im Staatsbesitz. In seiner letzten Unterhaus-Rede vor seiner Versetzung in das Transportministerium erklärte Parkinson in der vergangenen Woche, daß „die Vorbereitung der Privatisierung neue Informationen ans Licht gebracht“ habe.

Offenbar hatte die Atomindustrie bisher falsche Angaben über die Stillegungskosten gemacht und viel zu geringe Rücklagen dafür geschaffen. Der Regierungsbeschluß, die zwölf britischen Strombehörden im nächsten Jahr zu privatisieren, hat die Atomindustrie jedoch gezwungen, die wahren Zahlen auf den Tisch zu legen. „Die Regierung hat entschieden, daß die Unternehmen nach der Privatisierung nicht mit den Problemen der Vergangenheit belastet werden sollen“, sagte Parkinson. „Die Kosten müssen deshalb von den Kunden oder den Steuerzahlern übernommen werden.“

Die Entscheidung der Regierung hat bei der Opposition Empörung ausgelöst. Tony Blair, Energieminister im Labour -Schattenkabinett, sagte, daß die Regierung offensichtlich bereit sei, jegliche Interessen der Steuerzahler und Stromkunden zu opfern, um die Stromindustrie an der Börse loszuwerden. Das Ganze sei eine „erniedrigende Farce“.

Die Magnox-Reaktoren sind in den fünfziger Jahren von britischen Atomwissenschaftlern entwickelt worden. Die im Vergleich zu Kohlekraftwerken höheren Kosten für die Stromerzeugung wurden damit gerechtfertigt, daß das Nebenprodukt Plutonium für das britische Atomwaffenprogramm gebraucht würde. Ende der sechziger Jahre waren neun Magnox -Kraftwerke mit jeweils zwei Reaktoren in Betrieb. „British Nuclear Fuels (BNFL)“ betreibt zwei eigene Kraftwerke mit insgesamt acht Reaktoren. Diese Kraftwerke unterstehen dem Verteidigungsministerium und dienen lediglich dazu, Plutonium zu produzieren. Der als „Abfallprodukt“ anfallende Strom wird an die Elektrizitätswerke verkauft. 1969 stellte sich jedoch heraus, daß das als Kühlmittel benutzte Kohlendioxid die Korrosion der Stahlkonstruktionen und Bolzen in den Reaktoren verursachte. Daraufhin mußte die Leistung der Kraftwerke um fast ein Drittel heruntergefahren werden. Die verbrauchten Magnox-Brennstäbe sollten kontinuierlich in Windscale (Sellafield) wiederaufbereitet werden, doch schon 1973 war dort die Lagerkapazität erschöpft. Die Brennstäbe wurden deshalb im Meer gelagert und trugen dazu bei, daß die Irische See inzwischen das radioaktivste Gewässer der Welt ist. Die Lebensdauer der Magnox-Reaktoren wurde auf 25 bis 30 Jahre geschätzt. Das Kraftwerk Berkeley ist bereits im letzten Jahr außer Betrieb gesetzt worden. Bis zum Jahr 2002 soll das letzte der „zivilen“ Magnox-Atomkraftwerke, Wylfa in Wales, stillgelegt werden.

Es gibt jedoch keine Pläne, auch die beiden Magnox -Kraftwerke von BNFL stillzulegen. Die Magnox-Reaktoren sollen durch vier Druckwasserreaktoren mit einer Gesamtleistung von 4.600 Megawatt ersetzt werden. Doch schon jetzt gibt es mit dem geplanten C-Reaktor in Hinkley Probleme.

Die einflußreiche „Britische Computer-Gesellschaft (BCS)“ hat am Wochenende eine unabhängige Untersuchung des computergesteuerten Sicherheitssystems in Hinkley gefordert. Die Software sei zu umfangreich und könne mathematisch nicht analysiert werden. Das Verteidigungsministerium verlange jedoch diese Analyse für sämtliche Computersysteme, die menschliches Leben schützen sollen.

Die von der Atomindustrie jetzt veröffentlichten Zahlen haben ergeben, daß die Kosten für die Außerbetriebnahme jedes Magnox-Atomkraftwerks mindestens 1,5 Milliarden Mark betragen werden. Dazu kommen die Kosten für die Stillegung des älteren Teils der WAA Windscale (Sellafield) und die Beseitigung des dort gelagerten hochverseuchten Atommülls. Hierfür müssen 1,5 Milliarden Mark pro Tonne veranschlagt werden. Darüber hinaus müssen die Atomkraftwerke schließlich abgerissen werden, doch die dafür erforderlichen automatischen Werkzeuge sind noch gar nicht entwickelt. So könnten sich die Schätzungen der Gesamtkosten von 50 Milliarden Mark am Ende als konservativ erweisen. Unter diesen Umständen sei die Stromindustrie praktisch unverkäuflich, meinte Parkinson.

BNFL hat am Wochenende vorgeschlagen, die acht Magnox -Kraftwerke zu übernehmen. Das stößt jedoch auf den Widerstand der Gewerkschaften, die befürchten, daß dann „die zivile Nutzung der Atomenergie mit dem britischen Atomwaffenprogramm verschmelzen“ würde. In einer am Samstag veröffentlichten Erklärung sagten die Gewerkschaften der Stromindustrie: „Wenn die Magnox-Kraftwerke der Kontrolle von BNFL unterstellt werden, weiß in Zukunft niemand mehr, wie das dort produzierte Plutonium verwendet wird, weil die Regierung dann geheime Entscheidungen treffen kann.“

Unterdessen hat die Fachzeitschrift 'Nuclear Engineering International‘ ermittelt, daß die britischen AKWs nach den indischen die zweitschlechteste Kapazitätsauslatung aufweisen: 52 Prozent. Die Magnox-Reaktoren sind dabei noch mit 60 Prozent am besten ausgelastet.