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Mord statt Todesurteile

Politische Gefangene werden in türkischen Gefängnissen zu Tode geprügelt  ■ K O M M E N T A R

Nach dem Militärputsch 1980 hielt Putschistengeneral Kenan Evren eine unvergessene Rede: „Sollen wir sie denn füttern, statt sie aufzuhängen?“ war seine rhetorische Frage. Man fütterte nicht. Vor Kriegsgerichten wurden in Eilverfahren Todesurteile gegen politische Gegner ausgesprochen. Der Vollzug folgte Gewehr bei Fuß.

Putschist Evren ist heute Staatspräsident. Ein Parlament gibt es und eine zivile Regierung unter Ministerpräsident Turgut Özal. Bundeskanzler Kohl lobt den „Demokratisierungsprozeß“, wenn er Özal die Hand schüttelt. Heute werden in der Türkei keine Menschen hingerichtet. Todesurteile werden zwar verkündet, aber nicht vollstreckt: kleine Liebesdienste im Zuge der Verhandlungen um den EG -Beitritt der Türkei.

Statt Todesurteile zu vollziehen, mordet man heute in den Gefängnissen. Der Staat hat von langer Hand den Mord an den Gefangenen Mehmet Yalcinkaya und Hüsnü Eroglu vorbereitet. Ein menschenwürdigeres Dasein forderten die politischen Gefangenen im Gefängnis Eskisehir: mehr Hofgang, häufigerer Besuch der Toilette, Ende der Mißhandlungen durch das Wachpersonal, Aufhebung des Ankettens von Füßen und Beinen beim Krankenhausaufenthalt. Wegen solcher Forderungen waren sie in den Hungerstreik getreten. Wegen solcher Forderungen wurden sie zu Tode geprügelt.

Alle wissen um den Mord - es gibt Augenzeugenberichte, Autopsiebefunde und Dutzende Verletzte, die die Wunden der Mißhandlungen noch an ihrem Körper tragen. Seitenweise berichten türkische Tageszeitungen darüber. Offizielle Reaktion: minderwertiges Leben. Der Justizminister klärt über den kriminellen Hintergrund der Toten auf: „Es waren PKK-Mitglieder.“ Ministerpräsident Özal gibt keine Stellungnahme ab. Vor einer Woche hatte er türkische Journalisten, die über Menschenrechtsverletzungen berichten, entlarvt als „Anwälte des Teufels“.

Der bekannte türkische Kommentator Ilhan Selcuk erinnert an den Genozid an den Indianern: „Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer.“ Die zivilen Erben der Militärdiktatur haben den Satz den türkischen Verhältnissen angepaßt: „Nur ein toter Gefangener ist ein guter Gefangener.“

Ömer Erzeren

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