Zahnlose Menschenrechtsorgane

■ Der Europarat schweigt zu den Menschenrechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen / Erst ab Ende des Jahres ist die kürzlich in Kraft getretene Antifolterkonvention einsatzbereit

Straßburg (taz) - Die jüngsten Menschenrechtsverletzungen in türkischen Gefängnissen, bei denen zwei Gefangene im Hungerstreik ermordet und einige weitere schwer verletzt wurden, müßten eigentlich den Europarat auf den Plan rufen. Die zwischenstaatliche Organisation - der 23 westeuropäische Staaten, darunter auch die Türkei, angehören - hat die Wahrung der Demokratie und der Menschenrechte ausdrücklich auf ihre blaue Fahne geschrieben. Doch im Straßburger Europapalast herrscht Funkstille. Dabei verletzt die Repressionspolitik der Regierung Özal offenkundig gleich zwei Europaratskonventionen: die Europäische Menschenrechtskonvention und die Europäische Antifolterkonvention. Letztere ist bedeutend weiter gefaßt als die entsprechende Konvention der UNO und ächtet ganz allgemein jede „unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe“. Die Türkei ist Mitglied beider Konventionen. Über die Menschenrechtskonvention wachen zwei spezielle Institutionen des Europarats: die Menschenrechtskommission und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Beide werden jedoch nur auf Antrag beziehungsweise Klage von BürgerInnen aktiv. Im Mai dieses Jahres hat die Kommission die Klage zweier türkischer Bürger für zulässig erklärt, über die jetzt der Gerichtshof befinden muß. Bei durchschnittlich eintausend Verfahren pro Jahr dürfte das jedoch eine ganze Weile dauern.

Auch die erst in diesem Jahr völkerrechtlich in Kraft getretene Europäische Antifolterkonvention sieht ein Kontrollorgan vor. Im Gegensatz zur Menschenrechtskommission kann dieses watch-dog committee aus eigener Initiative, also ohne die Beschwerde oder Klage eines Bürgers abzuwarten, aktiv werden, beispielsweise Gefängnisse oder psychiatrische Anstalten inspizieren. Das Problem: Die „Wachhunde“ der Antifolterkonvention sind derzeit noch ohne Gebiß. Zwar haben alle Mitgliedsländer bereits ihre Kandidaten für das Expertengremium nominiert. Doch das Ministerkomitee des Europarats muß die Überwachertruppe erst noch bestätigen. Dies soll noch im September geschehen. Das Straßburger Gremium wäre dann gegen Ende des Jahres einsatzbereit. Die jüngsten Ereignisse in der Türkei „sind für uns leider zu aktuell“, so gestern ein Funktionär zur taz.

Thomas Scheuer