Die Opposition an der Macht

Die Krise von Rot-Grün in Berlin  ■ K O M M E N T A R E

Die Stadt als Ort der Demokratie und der ökologischen Wende zu erobern, war schon seit langem unser Traum. 15 Jahre lang hatten wir die Alternativen parat für eine Metropole, in der das Leben tobt und uns keine korrupten Politikverwalter die Luft zum atmen und die Freiheit zum Leben nehmen. Uns fehlte nur noch die Mehrheit. Nachdem Rot-Grün in Berlin gerade einmal vier Monate an der Macht ist und über eine, wenn auch nur parlamentarische Mehrheit verfügt, müssen wir uns vom „wir“ verabschieden. Denn nicht wir sind an der Macht, sondern andere. Fast über Nacht hat sich herausgestellt, daß der Wechsel innerhalb der politischen Klasse vom christliberalen Diepgen zum rot -grünen Momper-Senat lediglich einen Wechsel der Parteimilieus bedeutete, aber keinen Bruch mit ihnen: keine Öffnung gegenüber der Stadt, dafür Stühle rücken in der Politikverwaltung.

Es mag eingewendet werden, daß unser Traum von einer Metropole immer schon maßlos war. Aber wie soll eine Gesellschaft, eine Stadt sich verändern, deren politische Klasse nur Politik verwalten will? Noch so viele Gespräche zwischen Bundes-SPD und -Grünen können nicht darüber hinwegtäuschen: In Berlin geht die Perspektive einer rot -grünen politischen - und erst recht gesellschaftlichen Mehrheit in die Brüche. Wie konnte es so schnell dazu kommen? Zunächst mußte der neue Senat zwei politische „Altlasten“ der Linken bewältigen, den Hungerstreik der RAF und die 1.-Mai-Randale in Kreuzberg. Auf den zweiten Blick hatte es die neue Regierung damit relativ einfach. Schließlich mußte nur etwas zu Ende gebracht werden, was gesellschaftlich längst vorbereitet war. Das Projekt eines Dialogs zwischen Staat und RAF lief bereits seit zwei Jahren. Und der Konflikt zwischen Kiez und Putzfraktion in Kreuzberg hat eine längere Geschichte. Impulse für neue Perspektiven gingen bei beiden Konflikten nicht vom Senat aus. So wurde die Debatte um die Kreuzberger Mai-Krawalle zur polizeitaktischen Diskussion, und alles drehte sich um den Aufstand der Obristen im Polizeiapparat. Die nichtexistierende - vielleicht auch gar nicht gewollte Demokratie in Kreuzberg, die Grenzen der Freiheit des Individuums in der Großstadt oder im Kiez als tieferliegende Ursache wurden nicht wirklich Thema.

Der Wechsel von der Opposition an die Macht führt zwangsläufig zum Perspektivwechsel: das ist banal. Ein Regierungsprogramm, geschrieben von denen, die gestern noch Opposition waren, sieht immer anders aus als eines, mit dem eine im Sattel sitzende Regierungspartei ihre zweite oder dritte Legislaturperiode bestreitet. So ist auch das rot -grüne Koalitionspapier noch geprägt vom Gestus der Opposition. Partikularinteressen stehen nebeneinander, nichts fügt sich in ein politisches Gesamtkonzept.

Nach vier Monaten kristallisiert sich noch etwas anderes, viel entscheidenderes heraus: nicht die Differenz zwischen SPD und AL ist das eigentliche Konfliktpotential von Rot -Grün, sondern der Bruch zwischen der herrschenden politischen Klasse und der Stadt. Sie sind sich fremd geworden - oder geblieben. Der neue Senat sieht die Stadt als feindlichen Fremdkörper. Jahrelange Minderheit und Opposition führte erst einmal zur Bunkermentalität im Rathaus Schöneberg. Rein administratives Handeln ersetzt eine Politik, die sich auf die Hoffnungen der Stadtmenschen stützt.

Zum ersten Malheur des rot-grünen Senatswurde die Wahl des Strauß-Spezi von Lojewski zum neuen SFB-Intendanten. Er kam auf den Chefsessel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nur deshalb, weil die politische Klasse in dieser Stadt, von AL bis CDU übrigens, ganz unverblümt davon ausging, sie könne sich den SFB als parteipolitisches Propagandainstrument unter den Nagel reißen. So werden alle wichtigen Personalentscheidungen in diesem Sender letztlich nach Parteigesichtspunkten entschieden. Selbst wenn der Proporz im alles entscheidenden Rundfunkrat den neuen parlamentarischen Mehrheiten schon angepaßt gewesen wäre: Öffentlichkeit wird nicht ernst genommen. Dazu paßt auch, daß die AL bis heute noch an einem Beschluß festhält („'BZ' -Spielregel“), wonach ihre PolitikerInnen Springers 'BZ‘, dem auflagenstärksten Blatt in der Stadt, aber auch SAT 1 keine Interviews geben sollen.

Die CDU hat bei politisch entscheidenden Themen, ob es Ausländer- beziehungsweise Asyl- oder Kulturpolitik ist, nach wie vor die politische Hegemonie in der Stadt. Selbst in klassisch ökologische Bereiche, etwa in die Verkehrspolitik, bricht sie ein: Tempo 100 auf der Stadtautobahn und die Diskussion über die Reduzierung der Berlin-Flüge sind Beispiele. Rot-Grün hat bei beiden Themen die politische Führung in der Stadt verspielt, weil Dilettantismus am Werk ist. Da wird das Tempolimit durch heimliches Schildermontieren bei Nacht eingeführt, und danach wundert man sich auch noch darüber, daß es zu Straßenprotesten der ADAC-Lobby samt CDU kommt. Was in jeder anderen Großstadt kaum eine Zeitungsnotiz wert gewesen wäre, artet in Berlin zur politischen Kampagne gegen Rot-Grün aus. Dasselbe bei der Debatte um die Reduzierung nichtausgelasteter Berlin-Flüge. Durch gezielte Indiskretion aus der Verwaltung, mit der Rot-Grün rechnen mußte, wird der Flugplan politisches Kampagnenthema. Die Stadt wird nicht durch öffentliche Diskussion als Bündnispartner gewonnen für ökologisch sinnvolle Verkehrspolitik, sondern administrativ vom Senat dazu gezwungen.

Dramatisch wird es im Herbst. Hat die Asylanweisung, in die auch Straftäter mit einer „Duldung auf Bewährung“ einbezogen sind, schon einen Sturm der öffentlichen Entrüstung und die Ankündigung eines Volksbegehrens - wenn auch (bisher) nur der REPs - zur Auflösung des Parlaments zur Folge gehabt, so ist spätestens dann, wenn nach der Sommerpause, wie angkündigt, ein neuer Ausländererlaß und die Einführung des Kommunalen Wahlrechts für Ausländer auf der Tagesordnung stehen, die politische Schlachtordnung Rot-Grün gegen Schwarz-Braun, wären die Ausländer mithin Objekt aller Parteien. Dabei ist zumindest die Einführung des Kommunalen Wahlrechts vorerst durch eine anhängige Klage beim Bundesverfassungsgericht blockiert, bleibt seine parlamentarische Behandlung symbolisch. So kann vielleicht die AL am Regierungstisch gehalten, aber nicht die Mehrheit in der Stadt (letzte Umfragen besagen, 28 Prozent sind für Rot-Grün) gewonnen werden.

Konsequenzen, welcher Art auch immer, werden in beiden Parteien nicht diskutiert. Obwohl die politische Handlungsgrundlage des Senats im Sommerloch verschwindet, bleiben Momper und die Seinen im Urlaub. Eigennutz und Politikverwaltung sind einziger Orientierungspunkt ihres politischen Handelns. Verdammt, was wird bloß aus unseren Träumen?.

Max Thomas Mehr