Lust auf Demokratie wecken - Aber wie?

■ Das normale Angebot in Jugendfreizeiteinrichtungen spricht Jugendliche kaum an / Nur rund 3 Prozent aller Jugendlichen besuchen die Freizeitheime / „Man muß die Kids auf der Straße erreichen“ / Mit Autonomie und Abenteuertouren gegen rechtsradikale Tendenzen unter Jugendlichen / „Diskutieren liegt denen nicht“

Jugendarbeit gegen Rechts - in der sozialpädagogischen Theorie ein griffiges Schlagwort. Doch wie kann antifaschistische Jugendarbeit in der Praxis aussehen? „Nur drei Prozent aller Jugendlichen besuchen Jugendfreizeiteinrichtungen“, schätzt Thomas Mücke vom Jugendcafe GAK in Tegel. Vor allem diejenigen, um die es geht, mehr rechtsstehende oder rechts orientierte Jugendliche, sind unter den Besuchern der Einrichtungen kaum zu finden. „Das normale Angebot spricht die nicht an“, weiß Wolfgang Stürzbrecher, Mitarbeiter des mobilen Teams der Senatsjugendverwaltung im Jugendzentrum „Fokus“ in Neukölln, aus eigener Erfahrung. „Man muß einfach rausgehen, weil sich die meisten Kids auch außerhalb der Einrichtung aufhalten“, ist auch die Erfahrung von Günther Orlopp, Mitarbeiter in einer Jugendfreizeiteinrichtung in Lichterfelde. Viele Jugendliche empfänden staatliche oder kirchliche Freizeiteinrichtungen als zu sehr reglementiert und kontrolliert. Für Skinheads und Hertha-Frösche sieht die Sache wieder anders aus: Sie haben in den meisten Einrichtungen sowieso Hausverbot.

Thomas Mücke versucht, mit Skinheads und rechten Jugendlichen an ihren Treffpunkten ins Gespräch zu kommen. Wolfgang Stürzbrecher kann man mit dem Fußball unterm Arm durch Neuköllner Parkanlagen ziehen sehen. Günther Orlopp organisiert Musik- und Straßenfestivals. Auch inhaltlich werden neue Ansatzpunkte für eine Jugendarbeit gegen rechtsextreme Tendenzen gesucht. Gespräche und Diskussionsrunden bringen dabei relativ wenig, findet Günther Orlopp. „Diskutieren liegt denen nicht“, diese Erfahrung hat auch Wolfgang Stürzbrecher gemacht. „Ich denke, daß es den Jugendlichen am meisten hilft, unmittelbare Erfahrungen mit der Natur oder sich selbst zu machen“, erklärt Wolfgang Stürzbrecher. „Die meisten haben überhaupt kein Verhältnis zu sich selbst.“ Den Neuköllner Großstadtkids will er zeigen, daß es auch Abenteuer jenseits von Prügeleien und Messerstechereien gibt. So hat er unlängst mit einer Gruppe von Jugendlichen eine 26-Stunden -Radtour rund um Berlin gemacht. Gezeltet wurde im Wald, und schon die Dunkelheit und Stille fanden die meisten der Jugendlichen unheimlich gruselig. „Für die war das auch eine Erfahrung, daß der Türke, der sonst immer Scheiß-Türke für sie war, ihnen einmal beim Fahrradflicken geholfen hat.“ Höhepunkt der Abenteuer-Tour sei jedoch unzweifelhaft der nächtliche Angriff eines Wildschweins gewesen. Stürzbrecher: „Davon werden die in zehn Jahren noch reden.“ Lust auf Demokratie wecken, ist für alle drei Jugendarbeiter ein Stichwort. Ein wichtiger Bereich, findet Günther Orlopp, ist auch Autonomie: „Viele Jugendliche haben kaum freie Bereiche, wo sie sich verwirklichen können.“

„Wenn du auf diesem Gebiet etwas erreichen willst, dann geht das nur langfristig und im Vorfeld“, ist die Einschätzung von Günther Orlopp, der nichts von sozialpädagogischen „Feuerwehreinsätzen“ hält. Wie seine Kollegen warnt er davor, Jugendliche, die im weitesten Sinne zum rechten Umfeld gehören, gleich auszugrenzen. Andererseits: Organisierte Jugendliche in rechten Gruppierungen könne man mit den Mitteln der Jugendarbeit kaum noch ansprechen. Dies habe nicht zuletzt vor einigen Jahren die Erfahrung mit der von NPD-Mitgliedern mitaufgebauten „Deutsch-Amerikanischen Wehrsportgruppe“ gezeigt. „Nachdem wir hier im Jugendheim erst lange Zeit versucht hatten, uns mit den Mitgliedern dieser Gruppe auseinanderzusetzen, wurde uns schließlich klar: Hier hat die Pädagogik ein Ende.“ Die Jugendarbeiter sehen auch klar die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Thomas Mücke: „Natürlich kann die Jugendarbeit allein das Problem des Rechtsextremismus nicht lösen. Sie muß sich aber fragen, und das gilt für die Schule und andere Bereiche genauso, was hat sie für Möglichkeiten, die bislang noch nicht berücksichtigt wurden.“ Viele Kollegen, so kommt immer wieder der mehr oder weniger deutlich ausgesprochene Vorwurf, hätten es sich eigentlich auf ihren Posten inzwischen recht bequem gemacht.

Wenn Mücke und seine Kollegen jetzt auf die Straße gehen und versuchen, Jugendliche mit mehr Aktion anzusprechen als mit dem traditionellen Disko- und Billard-Angebot, dann wird damit auch versucht, ein Defizit zu füllen, das die Rechten sich bislang zunutze gemacht hatten. Nicht selten wurden Jugendliche mit Wehrsportübungen und ähnlichen Abenteuerspielchen geködert. Den Jugendlichen, so Wolfgang Stürzbrecher, sei dabei am Anfang oftmals egal, wer sie denn zum Stacheldrahtrobben am Teufelsberg einlade. „Die würden auch mitfahren, wenn die AL Wehrsportübungen anbieten würde.“

-guth