MAROKKO DEUTSCHLAND

 ■  liegt jenseits der Mauerliegt diesseits der Mauer

Diese Geschichte erzählt vom Mann unter den Bäumen auf einem Hügel hinter einer Mauer. Die Mauer trennt fast nackte Männer und Frauen, die sonnenbaden und gelegentlich im Swimmingpool plantschen, von Männern in abgeschabten Hosen und löcherigen Schuhen, die an Mauern und unter Bäumen hocken, um auf etwas zu warten, was wahrscheinlich auch heute nicht passieren wird: Arbeit. Nebenan werden Hotels gebaut. Jeden Morgen bilden sich Schlangen von Arbeitssuchenden, um einen Tag eingestellt zu werden am Bau. Für viele wird wohl wieder nichts aus dem Tagelohn. Und es bleibt nichts übrig, als sich in den Schatten von Eukalyptusbäumen zu setzen. Die Mauer trennt die Sonnenhungrigen auch von den mageren kleinen Frauen in Schleier und Djellabah. Wenn ein Mann allerdings auf einen mit Eukalyptusbäumen bewachsenen Hügel steigt, dann gibt es plötzlich eine Verbindung zwischen dem, was hinter der Mauer ist, und ihm. Er betrachtet pralle Frauenbrüste und -schenkel und -bäuche, hingebungsvoll der Sonne entgegengestreckt. Der Mann steht zwischen zwei Bäumen. Er öffnet seine Hose, ich kann seinen steifen Penis sehen, er masturbiert; ein-, zweimal schlägt er sein Ejakulat ab mit Blick auf eine sehr üppige Blondine, die selbstverständlich nichts davon ahnt. Peep-Show in Marokko, und dabei ganz kostenlos. Die reichen Touristinnen produzieren ganz freiwillig die Peep-Show für den marokkanischen Mann, der nicht mal dafür zahlen muß und es ja wohl auch nicht könnte.

Zwei circa 60jährige deutsche Männer, braungebrannt, in Shorts, sitzen am Swimming-Pool und fragen mich, ob ich mit dem Hotel zufrieden sei. „Ja“, antworte ich. Bekannte von ihm hätten hier gewohnt. Sie hätten das Essen schlecht und die Zimmer zu klein gefunden. Außerdem sei es ziemlich schmutzig gewesen. Ich meinte, daß ich das nicht fände, im Gegenteil, es wäre sehr sauber, der Putzmittelverbrauch könne sich durchaus mit deutschen Verhältnissen messen. Das hätte ihn auch gewundert, sagte der eine, schließlich wären die Arbeitskräfte hier doch billig. Und dabei seien seine Bekannten gar keine „großen“ Leute, was immer er damit auch ausdrücken mochte.

Die beiden Deutschen tranken Bier - der Geruch widerte mich an. Zum Abschluß zog der Wortführer noch ein Thermometer aus der Tasche, um die Temperatur des Wassers im Swimming-Pool zu kontrollieren. Er maß 31 Grad Celsius, das fand er eindeutig zu warm. „Warme Jauche“, meinte er.

Die Temperatur des Meeres habe er auch gemessen. Jetzt weiß ich, daß sie bei 22 Grad Celsius liegt. Circa 60- bis 70jährige Deusche, geboren um 1920 oder 1930, Hitlerjungen oder junge Soldaten des Dritten Reiches. Nach dem Krieg Nutznießer des Wirtschaftswunders, die hart angepackt haben. Wie billig ihre Arbeitskraft gewesen ist, weiß ich nicht.

Sieglinde Müter