Gezielte Stöße in den Magen

■ Indische Polizei bietet Selbstverteidigungskurse für Frauen an

Die Polizei von Neu-Delhi, bisher wenig erfolgreich in der Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen auf den Straßen der Hauptstadt Indiens, startet eine neue Offensive: Seit kurzem werden kostenlose Selbstverteidigungskurse angeboten. Eine umfangreiche Informationskampagne soll mißtrauische Eltern und Ehemänner vom Sinn der Sache überzeugen.

Etwa 200 Frauen und Mädchen haben bereits einen der Judokurse absolviert. Trainer des indischen Judonationalteams haben sich für die einmonatigen Kurse als Lehrer und Lehrerinnen zur Verfügung gestellt.

Kritische Stimmen warnen aber vor einer allzu enthusiastischen Bewertung der Kurse: „Manchmal sind geringe Kenntnisse gefährlicher als gar keine“, meint Manjeet Arya, eine der wenigen weiblichen Judokas, die in einer Mädchenschule in Neu-Delhi Kurse abhält. Sie ist der Ansicht, Judo müsse mindestens ein Jahr lang gelernt und praktiziert werden, bevor es zur Selbstverteidigung eingesetzt werden kann.

Immerhin fühlen sich die Kursteilnehmerinnen durch das Training um einiges selbstbewußter: „Früher bedeutete eine Fahrt in einem überfüllten Bus, ständig Belästigungen von Männern ausgesetzt zu sein“, erklärt Poonam Verma, eine 30jährige Hausfrau, um kämpferisch fortzufahren: „Heute kann ich mir mit einem kräftigen Stoß mit dem Ellenbogen in die Magengegend jeden Mann vom Leib halten.“

Skeptisch äußert sich die Herausgeberin des feministischen Magazins 'Manushi‘, Madhu Kishwar, zur Initiative der Polizei: Durch die lautstarke Werbung für die Judokurse wollten die Behörden nur von ihrer Unfähigkeit ablenken, den Schutz der Frauen vor sexuellen Angriffen zu gewährleisten. Sie hält die ganze Kampagne für Geldverschwendung und fordert statt dessen eine konsequente Verfolgung der Täter durch die Polizei.

Zu einer Verfolgung kommt es meist nur nach massiven Protesten der Betroffenen. Zwei Collegestudentinnen sahen sich einem geöffneten Springmesser gegenüber, nachdem sie gewagt hatten, sich während einer Busfahrt gegen sexuelle Belästigungen zu wehren. Niemand der Mitreisenden schien es für nötig zu halten, einzugreifen.

Die Polizei reagierte erst, als sich die Mutter eines der Mädchen an eine Lokalzeitung wandte und Lehrer und Schüler des Colleges zu einer Protestkundgebung auf die Straße gingen. Aber die weitaus meisten Fälle werden niemals angezeigt, weil die Frauen den Gang zur Polizei scheuen aus Angst vor der „Schande“.

In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden in Neu -Delhi insgesamt 1.373 Männer wegen sexueller Vergehen gegen Frauen verhaftet. 823 von ihnen wurden nach einer „Verwarnung“ freigelassen. Eine 1988 entworfene Novelle zur Gesetzgebung bezüglich sexueller Gewalt gegen Frauen liegt noch immer im Parlament und wartet auf ihre Ratifikation.

Der Entwurf sieht eine Mindestarreststrafe von sieben Tagen anstelle der Geldbußen vor. Feministin Kishwar zweifelt allerdings an der Durchführung der neuen Bestimmungen: „Wir haben viele gute Gesetze in Indien, aber wer handelt in diesem Land schon nach dem Gesetz?“

ips