„Sie wollte provozieren“

■ Interview mit Jackie Burroughs, der Autorin und Hauptdarstellerin von „Ich atme mit dem Herzen“

taz: Die Hauptdarstellerin Maryse Holder muß am Ende sterben. Ist das die Strafe für ihre sexuellen Wünsche?

Jackie Burroughs: An Filmenden wird traditionell gern gestorben... Doch im Ernst: Ich glaube, Maryse Holder, der Hauptperson in unserem Film, ging es weniger um Sex als vielmehr darum, über Sex zu schreiben. Dazu ging sie nach Mexiko, weil es in Nordamerika eben keinen richtigen Sex mehr gibt.

Sie ging nach Mexiko, um „Ferien vom Feminismus zu machen“. Heißt das nicht umgekehrt, daß sie als Feministin ihre Sexualität nicht ausleben konnte? Ist das damit nicht eine Diskreditierung des Feminismus?

Keineswegs. Man muß das einfach in der Zeit sehen, als das passierte: 1977. Maryse wollte provozieren. Nicht umsonst hat sie ja alle ihre Erlebnisse ihrer Freundin Edith in New York geschrieben. Ich glaube, diese dogmatischen Zeiten von einst sind längst überwunden, der heutige Feminismus ist viel entspannter. Und man kann über sich selbst lachen.

Was sagte Edith, die Herausgeberin der Briefe, zu diesem Filmprojekt?

Anfänglich war sie dagegen und meinte, nur Roman Polanski könne diesen Stoff verfilmen. Schließlich war sie doch überzeugt. Und eine Freundin von Maryse sagte, der Film würde sie ganz gut treffen.

Wie nahe ist der Film an der Buch-Vorlage?

Sehr nahe. Das einzige Problematische war, die Auswahl zu treffen aus den über 1.500 Briefen.

Wie kam es zu der Idee zu diesem Film?

Ursprünglich wollte ich einige der Briefe für eine Veranstaltung gegen die staatliche Zensur in Kanada verwenden. Und irgendwie kam bei ein paar Leuten auf einmal die Idee zu einem Film auf, den wir dann zu fünft gemeinsam realisierten. Das funktionierte, weil wir eine sehr kleine Crew und einen ganz bescheidenen Etat hatten.

Wie arbeitet es sich denn als Kollektiv bei einem Film? Gibt es nicht unzählige Meinungsverschiedenheiten mit fünf Regisseuren?

Es hat wunderbar funktioniert und das, obwohl wir ganz unterschiedliche Personen sind. Während der Vorbereitung gab es sehr lange und auch kontroverse Diskussionen. Das Drehen ging sehr schnell. Erst beim Schneiden gab es dann wieder Auseinandersetzungen, weil wir von den viereinhalb Stunden Material auf einen eineinhalbstündigen Film kommen mußten. Aber solche Diskussionen erwiesen sich als durchaus produktiv.

Zu Ihrer Rolle: Wie war das, diese sehr extrovertierte Frau vor der Kamera darzustellen?

Für gewöhnlich ist Schauspielen eine Tortur. Aber hier war es ein großer Spaß. Nicht nur, weil es unser eigener Film war, sondern weil ich diese Frau auch liebe. Mit all ihren Schwächen, ihren Prahlereien und ihrem Narzißmus. Zudem sagt sie stets mehr, als sie tatsächlich meint, sie ist also sehr amerikanisch. Während wir Kanadier im Unterschied dazu sehr viel bedächtiger sind. Ich konnte mich also dabei schön austoben.

Gab es keine Probleme mit der mexikanischen Zensur?

Wir hatten auf Schritt und Tritt einen Zensur-Beamten bei uns. Allerdings nicht wegen des Themas Sex, sondern weil man nicht wollte, daß wir Armut oder soziale Konflikte zeigen.

Der Film wurde auf Festivals sehr kontrovers aufgenommen. Welche Reaktion der Zuschauer wünschen Sie sich?

Daß sie danach in eine Bar gehen und die ganze Nacht über den Film streiten. Ich finde, über dieses Thema kann man endlos reden...

Das Gespräch führte Dieter Oßwald