Ein Widerstandwird wieder sichtbar

Im Militärgebiet des Hunsrück machen Lesben seit sieben Jahren ein „Frauenwiderstandscamp gegen Militarismus und Sexismus“ / Nach Isolation und Nabelschau wollen sie mit Aktionen gegen den Kriegscomputer in Goßberg wieder öffentlich werden / Aber keine Resonanz  ■  Von Bettina Markmeyer

Zwei Frauen lehnen ihre Köpfe an der Stirn gegeneinander und fassen sich um die Hüften. So stehen sie einen langen Moment unbeweglich vor dem wolkengrauen Hunsrück-Abendhimmel. „Siehste doch, daß die lesbisch sind. Kuck's dir an.“ „Gülle müßte man über die kippen, ein ganzes Faß Gülle“, raunzt und schimpft es von der anderen Seite. „Besser noch, ein Faß für jede!“ Unweit des Tores zur übermannshoch umzäunten Baustelle auf dem Goßberg bei Hasselbach ermuntern sich zwei Männer aus dem Hunsrück gegenseitig zu Beschimpfungen. Sie beobachten das Geschehen auf dem Plateau, neben ihnen lungern sechs Polizisten.

Unterhalb, vor Hundheim, bewegt sich ein kleiner Demozug auf das Dorf zu. Pfiffe und Gejohle von unten mischen sich mit dem Getrommel, das schon den ganzen Abend über dem Goßberg zu hören ist. Am Nachmittag gegen fünf Uhr sind etwa 100 Frauen losgezogen aus dem Frauenwiderstandscamp in Reckershausen. Mit Transparenten gegen den „Kriegscomputer im Goßberg“ und „Wir grüßen die Dorflesben“. Allen voran eine Unermüdliche mit der obligatorischen Trommel, hinter ihr geschminkte, bunt gekleidete Frauen mit Blechtassen und Löffeln zum Krachmachen. An einem sommerwarmen Samstag abend ein skurriler Marsch über asphaltierte Feldwege, an deren Rändern die Brombeeren reif werden, durch abgelegene Hunsrückdörfer. Das Frauenwiderstandscamp hatte letzte Woche zu einem „Aktionswochenende“ gegen den Goßberg-Computer aufgerufen. Die Frauen wollen auf die neuen Kriegsbaustelle aufmerksam machen, sie „sichtbar machen“. Drohen oder wegsehen

Männer drohen oder sehen weg, wenn die Frauen durchs Dorf ziehen. Einige Frauen in Kittelschürzen winken den Demonstrantinnen zu. Vom Hoftor aus oder bei der Gartenarbeit hören sie die nach der Melodie vom Mackie -Messer-Lied aus Brechts Dreigroschenoper vorgetragene Moritat von der aufmüpfigen Frau Meyer und den Soldaten, die - „Guten Tag, wir bringen Frieden“ - Hunsrück-Dörfer entvölkern und ganze Landstriche einzäunen als militärisches Sperrgebiet.

Das Ziel der Demo, der Goßberg, mußte fürs neueste Militärprojekt nicht erst entvölkert werden. Eigentlich ist der Berg nur ein Hügel im Dreieck von Wüschheim, Hundheim und Hasselbach. Bis vor wenigen Jahren betrieb die Nato hier eine Radarstation. 1986 wurde sie abgerissen. Dann wuchs Klee über die Sache. Seit Januar dieses Jahres nun ist der Goßberg wieder aufgerissen: 40 Meter unter der Erde und bis zu 10 Metern darüber entsteht ein sicherer Bunker für eine „zentrale Datenerfassungs- und -auswertestation“ der US -Army. So verbunkert, daß die Elektronik, die, wie ExpertInnen vermuten, eine der wichtigsten amerikanischen Schaltzentralen im Krieg wäre auch nach der Explosion einer Atombombe arbeitsfähig bliebe. Letzteres gehe aus den Bauplänen für den Computerbunker hervor, sagt Reinhard Sczech vom Friedensbüro in Kastellaun. Drei Parabolempfänger für Satellitenkommunikation gehören zu der Anlage, die im Dezember 1990 in Betrieb genommen werden soll. Im nur zwei Kilometer entfernten Hasselbach sollen nach dem Abzug der Cruise Missiles nicht etwa friedliche Zeiten einkehren, sondern zentrale Radar- und Fernmeldeeinrichtungen entstehen. Sie sammeln die Daten, die der Goßberg-Computer auswertet. Im Krieg würde hier nicht nur überwacht und koordiniert, sondern auch abgedrückt. Über den Computer ließen sich auch Waffen einsetzen, die ganz woanders stationiert sind. Sieben Jahre gegen Sexismus und Militarismus

„Zwischen der Vergewaltigung einer Frau, eines Landes und der Erde besteht kein wesentlicher Unterschied.“ So lautete das Motto der ersten Reckershausener Camps. „Eindringen und kaputtmachen und dann den Mantel des Schweigens über alles breiten“, hatte Hermine am Nachmittag gesagt, bevor die Frauen zur Demo starteten: „So gehen sie auch jetzt mit dem Goßberg um. Wir können Militarismus und Sexismus nicht voneinander trennen.“

Das erste Widerstandcamp fand 1983 aus Protest gegen die geplante Stationierung der Cruise Missiles in Hasselbach statt. Seitdem campieren Frauen jedes Jahr im Sommer für mehrere Wochen auf Adele Boors Obstwiese neben dem Reckershausener Schwimmbad. Sie waschen sich im Bach im Schutz eines Transparents: „Wir sind die Hexen, die nicht verbrannt werden“ - und proben das Draußenleben. Die Küchen

-zu einer Küche gehören jeweils etwa 20 Frauen - befinden sich in großen hellen Zelten, einen kleinen Laden gibt es dort auch und in der Mitte des Platzes eine Wasch- und diverse Feuerstellen. Neben der kleinen Holzbrücke am Eingang zum „Frauenland“ stehen zwei große Milchkannen zur Kühlung im Bach. Hinten auf der Wiese rostet ein ausgedientes Güllefaß vor sich hin, unweit der vielbeschimpften Chemieklos. „Schikane“, sagt Petra aus Berlin, „in diesem Jahr haben sie uns die Kompostklos verboten. Jedes Jahr gibt es andere Schwierigkeiten.“

Daß sie sich kein normales Zeltlager eingehandelt hatten, war den HunsrückerInnen in und um Reckershausen schnell klargeworden. Die Männer erboste das „Frauenland“, und sie rückten mehrfach an, um in nächtlichen Aktionen die Frauen zu bedrohen, „sodaß wir Nachtwachen einrichten mußten, die wir bis heute beibehalten haben“, sagt Petra. Polizei und Zivilfahnder beobachteten das Camp, von dem aus die Frauen gen Hasselbach und mit Flugblättern und Transparenten in die Dörfer der Umgebung zogen.

Unzählige Aktionen sind auf der Obstwiese diskutiert und viele davon von hier aus verwirklicht worden: Behinderungen, Mahnwachen und Blockaden in Hasselbach und anderswo, eine Fahrradralley zu Militärstützpunkten, 1984 eine Denk-Mal -Aktion, bei der die Frauen Kriegerdenkmäler verhüllten und an ihrer Stelle an die in den Kriegen vergewaltigten und ermordeten Frauen erinnerten. Auch Aktionen gegen die Puffs in Lautzenhausen beim Militärflughafen Hahn. Die Campfrauen machten Veranstaltungen zu sexueller Gewalt und Trauer- und Protestmärsche nach der Vergewaltigung und Ermordung einer Berlinerin, kurz nachdem sie 1983 aus dem Camp zurückgekehrt war, und einer Hunsrückerin im darauffolgenden Jahr. Immer wieder schlugen Frauen unmittelbar vor den Militärbasen ihre Zelte auf, behinderten den Betrieb und lebten, teilweise monatelang, im Wald neben dem Kriegsgerät. So holten sie sich symbolisch und tatsächlich das Land zurück, das Männer zu Kriegszwecken beschlagnahmen. „Als dann die breite Öffentlichkeit endlich über die Stationierung der Cruise Missiles in Hasselbach redete, hatten wir schon unsere ersten Prozesse am Hals“, erinnert sich Petra. Einige Frauen „aus den Städten“ zogen um in die Hunsrück-Dörfer bei Hasselbach, mieteten oder kauften Häuser, um das ganze Jahr über in der Nähe der Stützpunkte zu sein. Zwischen Öffnung

und Nabelschau

Hatten in den ersten beiden Jahren noch Friedensinitiativen und Hunsrückerinnen das Camp unterstützt, zogen sich viele später zurück. Der Frauen-Stammtisch mit Externen in den Campzelten schlief ein. „Die Hunsrücker Frauen fanden sich hier nicht mehr wieder“, meint Petra. Die Friedensbewegung insgesamt ließ nach.

Aber viele der Frauen wandten sich auch von der „traditionellen“ Politik und ihren Aktionsformen ab, zweifelten an deren Wirkung. Es gab Konflikte mit der Friedensbewegung und den Parteien vor Ort, Konflikte mit den einheimischen Frauen, Konflikte untereinander. Frauen aus den ersten Jahren blieben weg. „Wir sind auch in unserem eigenen Kram versackt“, urteilt Petra heute.

Die Frauen in den Sommercamps beschäftigten sich zunehmend mit sich selbst. Als sie jetzt auf den Goßberg gingen, glaubten sie zu spüren, „daß der Berg eine große Kraft ist“, die schon Frauen in früheren Zeiten inspiriert habe. „Aber solche Erfahrungen“, beendet Hermine das Thema Bergeskraft mit skeptischem Blick auf die anwesende Presse, „lassen sich nicht erzählen.“ Immer jedoch gehörte die Auseinandersetzung mit Sexismus und Männergewalt zu den zentralen Themen im Camp, im letzten Jahr beispielweise ging es um sexuellen Mißbrauch. „Für mich“, resümiert Hermine, „war das wichtig. Das wirkt sich auf unser ganzes Leben aus - und natürlich auch auf unsere Aktionen und unsere Politik.“ Mit Fakten allein, ohne die Zusammenhänge herzustellen zwischen Sexismus und Militarismus oder zwischen Technikverständnis und Naturzerstörung beispielsweise komme frau nicht weiter, das gelte auch für den Goßberg.

In der Öffentlichkeit, in der Lokalpresse, aber auch in den „sogenannten fortschrittlichen“ Medien, seien sie diffamiert worden. „Bis wir von der Presse die Schnauze voll hatten. Meistens war falsch, was da stand. Immer zum Beispiel ist unterschlagen worden, daß das Camp vor allem von Lesben getragen wird“, erbost sich Petra. „Oder jetzt wieder: daß wir den Anstoß für die Berichte über den Militärcomputer im Goßberg gegeben haben, kein Wort davon!“ Alles geheim

Derzeit wissen nur die Militärs genau, wozu Goßberg und Hasselbach ausgebaut werden soll. VertreterInnen der umliegenden Gemeinden wurde gesagt, daß insgesamt 1.100 amerikanische Soldaten stationiert würden, vor allem „höherqualifiziertes Personal“, wie der Gemeinderat Gerhard Lorenz aus Bell berichtete. 550 Soldaten kommen aus der Basis „Metro Tango“ an der Hunsrückhöhenstraße, die dann aufgelöst werden soll. Dabei handelt es sich um das Personal einer Fernmeldebodenstation zur luftgestützten Aufklärung (also Spionage) der US-Army. Drei weitere Einheiten zur Luftaufklärung sollen aus einem „Headquarter“ und zwei mobilen Radareinheiten bestehen.

Vor allem Größe und Umfang der zukünftigen Anlagen ließen Rückschlüsse auf ihre Bedeutung als zentrale Schaltstelle im Krieg zu, meint Reinhard Sczech aus dem Friedensbüro Kastellaun. Die elektronische Aufrüstung werde jedoch nicht, wie die Aufstellung neuer Waffen, vom amerikanischen Kongreß abgesegnet, sondern streitkräfteintern beschlossen. Deshalb sei es kaum möglich, an detaillierte Informationen heranzukommen.

Das Starnberger Friedensforschungsinstitut mutmaßt, daß im Goßberg eine Schaltzentrale für das am Computer gesteuerte atomare Gefechtsfeld entstehen soll. Die Daten des MIDS -Programms (Multiple Information Distribution System) der Nato würden hier ausgewertet, die verschiedenen Waffengattungen (Land, Luft, Wasser) auf den Gefechtsfeldern koordiniert. Dem widerspricht allerdings die Vermutung, daß in Goßberg/Hasselbach die Amerikaner das Sagen haben und nicht die Nato. Danach bauen die US-Streitkräfte neben den Nato-Stellungen ein eigenes Militärcomputersystem auf, um in Europa unabhängig operieren zu können. Hexenzauber auf dem Goßberg

Ursula friert in ihrem kurzärmligen Pullover, es wird kühl auf dem Goßberg. Seit eineinhalb Jahren lebt sie in Hundheim. Als am 17.Januar die Baustelle eingerichtet wurde, setzte sie sich mit einer Freundin den Baufahrzeugen in den Weg. „Eineinhalb Tage lang. Aber eine Strafanzeige habe ich nicht bekommen.“ „Überhaupt“, vergleicht sie ihre Erfahrungen mit dem vergangenen Jahr, „haben sie heuer extra wenig Polizei.“ Ursula ist davon überzeugt, daß es den Amerikanern auf dem Goßberg vor allem darum geht, kein Aufsehen zu erregen. „Die tun grad so, als sei das eine völlig harmlose Baustelle. Oft stand das Tor offen“, wer wolle, habe unbehelligt auf das Gelände gehen können. Bereits mehrfach seien die Baubuden verwüstet worden, ohne daß die Militärs Strafanzeige erstattet hätten.

Von dem Schieferwall am Rande des Plateaus aus, wo wir uns hingesetzt haben, können wir die künstlichen, kantigen Grashügel von Hasselbach sehen, unter denen schwer bewacht noch bis Mai 1991 die Cruise Missiles stationiert sind. Die elektronische Aufrüstung danach sei noch gefährlicher als eine Raketenbasis, doch viel schwerer zu begreifen. „Dabei wird schon ein Krieg aus Versehen wahrscheinlicher“, sagt Ursula.

Der Demozug ist längst oben angekommen. Bis auf die Polizisten bleiben die Frauen unter sich. Die Lästerer sind verschwunden. In den letzten vier Tagen hat die Künstlerinnengruppe „Schrottblick“ das graue Schotterplateau neben der Baustelle in eine Ausstellungsfläche verwandelt. Aus Schrott, abgebrochenen Betonröhren, Brennholz, Steinen allem, was auf einer Baustelle herumliegt, haben sie Objekte gebaut: ein altes Faß als Aussichtsturm. Ein Windspiel aus Eisenbändern und Grabegabeln, das leise klingelt. Eine Pfütze mit Bindfadengespinsten, eine Spirale aus Feldsteinen.

Eine Performance eher traditioneller Art haben sich andere Frauen vorgenommen: sie reißen mit Metallschlingen, die sie durch die Metallumzäunung schieben, den Bretterzaun um, der die Goßberg-Baustelle vor den Blicken der Öffentlichkeit abschirmt. Wie hieß doch die Devise des Aktionswochenendes? Die Baustelle sichtbar machen. Aber zum Gucken ist niemand gekommen.