Hundstage

■ Über den Vierbeiner in der schönen und anderen Literatur

Detlef Kuhlbrodt „Now I wanna be your dog“ (Iggy Pop

„Je suis un chien“ (Leo Ferre

„Ich bin ein Hund“ (Nina Hage

Der zeitgenössische Diskurs über Hunde ist auf den Hund gekommen. Abwehrmäßig gewitzt mag der moderne Mensch nur über Hundescheiße reden und fordert nicht so sehr deren, sondern die Beseitigung des Hundes, oder die Umwandlung von „Hoffmanns Hundeimbiß“ in ein Restaurant für hundehassende Gourmets - Hundefleisch ist gut gegen die Schwindsucht, weiß das Handbuch des deutschen Aberglaubens. Laut Freud zieht der Hund die Verachtung des Menschen auf sich, weil er „sich vor Exkrementen nicht scheut“ und „sich seiner sexuellen Funktionen nicht schämt“. Eine andere Erklärung scheint mir einleuchtender: Der Hund weigert sich, sein So -Sein zu ästhetisieren, ist lebendiger Widerspruch der Lebenskunst moderner Menschen und zieht so ihren Haß auf sich. Der Träger des Hundeblicks ist kein schöner Verlierer, sondern ein Versager, eben ein blöder Hund, und Hunde sind treu, doof, dreckig; beißen, fressen Leichen, ficken blöde rum und außerdem sind sie farbenblind. Orthros

Vor 12. bis 14.000 Jahren kam unser ältestes Haustier zu uns.

Homer sagt: „Trunkenbold du mit dem Hundeblick!“ (zit. Longin, Über das Erhabene)

Als Stern verkündet Sirius, Bruder des Kerberos, das Neujahr Athens, den Beginn der „Hundstage“, den die Hundepriester, Diener der „Großen Göttin“ des östlichen Mittelmeerraumes, mit sodomitischen Ekstasen begingen. Unter dem Namen Orthos scheint er ein Hüter des früheren Alphabets im Auftrag der Großen Göttin gewesen zu sein. Die Hundesuche in der Literatur ist also mythologisch gerechtfertigt. Susi & Strolch

Alles Wissen, die Gesamtheit aller Fragen und aller Antworten ist in den Hunden enthalten. (Franz Kafka)

Es gibt Hundeliteratur, die aus der Hundeperspektive geschrieben ist und solche, in der der Hund in anderer Weise im Zentrum steht. In Ersterer ist Hunden gewöhnlich ein „unerwartet eingetretenes Sprachvermögen“ verliehen, das entlarvend, das „Menschengeschlecht mit irgendeinem großen Unglück“ (Cervantes) bedroht. Klassiker in diesem Genre ist Cervantes‘ Gespräch zwischen Cipion und Berganza, das seine Fortsetzung rund 200 Jahre später in der Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza bei E.T.A. Hoffmann findet.

Cervantes‘ Hunden scheint es, als hätten sie Verstand, das sie „sprechen und doch in Wahrheit Hunde sind“. Dem dürfen sie keinen Glauben beimessen und - erzählen doch. Ein klarer Fall dekonstruktivistischer Hundeliteratur.

Ein konstruktiver, sozusagen erzählmotorischer Hund, Pereswonn, treibt in Die Brüder Karamasoff die Handlung voran und verschwindet, wenn er seine Schuldigkeit getan hat. In „den Hundehimmel“ (Leo Ferre), wer weiß. In der russischen Literatur sind Hunde Nutzmaterial (Gogol, Die toten Seelen) oder langweilig vermenschlichte Vorläufer Tschechows rührender Kaschtenka - von Thomas Manns Bauschan (Herr und Hund) und Walt Disneys Susi & Strolch. Genuine Hundeliteratur hat vielleicht nur Franz Kafka geschrieben (Forschungen eines Hundes, geschrieben 1922): Sein Hund findet „bei näherem Zusehen,... daß hier seit jeher etwas nicht stimmte“ und gerät so in die nutzlos -wunderbarste Hundeernährungs- und -musikwissenschaft. Kafka macht keinen Unterschied zwischen Menschen und Hunden diese kommen nur äußerst beiläufig vor: “... arme, stumme, nur auf gewisse Schreie eingeschränkte Wesen; viele unter uns Hunden studieren sie, haben ihnen Namen gegeben, suchen ihnen zu helfen, sie zu erziehen, zu veredeln und dergleichen“. Die Erzählung läßt sich nicht in anthropologische Zusammenhänge übersetzen. Die ist schlicht da und, über sie gebeugt, kommt man ins Grübeln, melancholisch wie der Dürersche Hund. Die Weisheit - des Hundes - „ist der Tiefe hörig“, sagt Walter Benjamin. „Sie ist gewonnen aus der Versenkung ins Leben der kreatürlichen Dinge und von dem Laut der Offenbarung dringt nichts zu ihr.“ Alle lieben Hunde

Man liebt in Heidelberg sogar meinen Hund so sehr, als ob er einen Band zu meinen Werken geschrieben hätte. (Jean Paul)

Ob Goethe, Descartes oder Schopenhauer - alle lieben Hunde, und Freud empfindet, während er seinen streichelt und als „ganz unmusikalischer Mensch“ die Arie des Don Juan pfeift, eine Liebe „ohne alle Ambivalenz“, die „von dem schwer erträglichen Konflikt mit der Kultur befreit“ ist.

Bei aller Liebe verdrängt der Hundeliebhaber jedoch dessen Sexualität. In der Literatur taucht sie auf als masochistische Metapher oder als sodomitische Begegnung. Subjekt sodomitischen Begehrens ist der Hund im Opus Pistorum (Henry Miller), bei Sade sowieso, aber auch in Die Versuchung der stillen Veronika (Musil) oder auf einem Bild des Rokokomalers Fragonard (La Gimblette) und neuerdings - ob Subjekt oder Objekt, sei dahingestellt - in 'Quick‘: da zungenküßt „US-Schauspielerin Debra Winger“ (Zeit der Zärtlichkeit) halbnackt ihren Schäferhund.

Die Häufigkeit sodomitischer Akte liegt in der Stadt bei etwa einem Prozent, auf dem Land bei 17 Prozent (Kinsey). Der Report stammt jedoch noch aus den prüden fünfziger Jahren - die Zahl des „Hundsfosen“ und „Hundfotte“ wird, rechnet man die Zahl der Schoßhunde in der lieblosen Großstadt hoch, erheblich höher sein.

Krafft-Ebing schildert in seiner Psychopathia sexualis (1898) den Fall einer Frau, die von ihrem Mann dazu genötigt worden war, sich von dem Schäferhund begatten zu lassen: „Der Ehemann leugnete anfänglich, von allen Seiten in die Enge getrieben, Suizidversuch (Kopfschuß) und blieb in der Folge auf einer Körperseite völlig gelähmt. Durch die aufopfernde Pflege seiner Frau gerührt, gestand er Urheberschaft und Beihilfe zu dem Unzuchtsakte ein. Urteil: wegen Unzucht Frau sechs Wochen und Mann zehn Wochen.“ Wie ein Hund

Diese zwei Vorstellungen von mir, die wie zwei Hunde nebeneinanderlaufen und alles niederbellen. (Thomas Bernhard, „Frost“)

Auf den Hund kommt man, wenn einem so übel mitgespielt wird wie dem Vierbeiner. Wenn man wie Hamm „mit hündischer Liebe“ an seinem ausgestopften Hund hängt (Beckett, Endspiel), sich in ihn verwandelt, und die „ekligen Spuren dieser Füße“ auf dem Teppich küßt, um sich „wie eine schnuppernde Hündin“ an ihnen zu erregen (Musil, Die Vollendung der Liebe); wenn man so tut, als hätte man einen Hund, um vom Fleischer einen Knochen zu kriegen, den man wie ein Hund dann vor Hunger abkaut, um sich danach zu erbrechen, weil die Verwandlung nicht geklappt hat (Hamsun, Hunger); wenn man als „erster Günstling und Rat des Kaisers und größte Säule des deutschen Reiches“ beginnt, „auf allen Vieren zu laufen und zu bellen und die Kühe in die Keulen zu beißen...“. (Klima, Die Leiden des Fürsten Sternenhoch), wenn man, ein Hund, nicht länger so leben möchte (Goethe, Faust), wenn man abgeschlachtet wird und noch „mit brechenden Augen“ die Herren in unmittelbarer Nähe hat, „Wange an Wange aneinandergelehnt„; dann - „'Wie ein Hund!‘ sagte er, 'es war, als sollte die Scham ihn noch überleben‘.“ (Kafka, Der Prozeß) Der lachende Höllenhund

„Der Hund“, sagt er, „ist 'Symbol des Verbrechers‘. So wie der Hund dem Verbrecher entspricht, so der Verbrecher dem Hund.“ (F.G.Jünger, Weininger)

Die Geschichte des Lachens rekonstruiert Florens Christian Rang mit Hilfe des Hundes. Der begnügt sich nämlich damit, „die Zähne zu fletschen, anstatt zu beißen“ - eine Art Schongebärde gegen seinen Spielgefährten, während beim Menschen aus „wohlwollendem Lächeln, nicht ohne eine leise Marke der Verächtlichkeit... klingendes Lachen ward“. (Historische Psychologie des Karnevals) Doch das Lachen vergeht dem Menschen, hört er das Bellen des Hundes. „Hören Sie!... dieses Gekläff!... das fürchterliche Geheul... Seele und Fleisch zerdrückt es... das ist... die hündische Überverzweiflung... die sich an ihren trostlosen Erfindern rächen muß... Da sind die Hunde, da ist das Hundegekläff, das ist der Tod“, klagt der Maler Straub bei Thomas Bernhard (Frost), dem großen Hundehasser. „Ich gehe in dieses Gekläff... hinein... ich herrsche es an mit der Gewitterträchtigkeit meiner Vernunft, zerfahre ihm seine Denkprozesse, seine Lügenpropagandavorrichtungen.“ (Frost)

Ich höre. Und denke, daß die Identifikation oder die Selbstvergewisserung mit Hilfe des Hundes - „I am I because my little dog knows me“ (Gertrude Stein) - bei der Intelligenz des zwanzigsten Jahrhunderts nicht mehr funktioniert. Die Sekundärtugenden sind als faschistisch, das heißt als hündisch entlarvt (Handke), ohne daß das Andere des Hundes wirklich Anerkennung gefunden hätte. So kehren in der Moderne die Höllenhunde wieder; der Mensch scheint von seinem aufgeblähten Unterbewußtsein infiziert, die „Gewitterträchtigkeit“ seiner Vernunft hat gar nix zu melden. Der Hund verhöhnt ihn, während er schon im Sarg liegt: „Komm ich hinein, liegt der Kerl nicht stocksteif in einem schwarz-lackierten Kasten, und verstellt sich, hält den Atem an, und rührt sich nicht. - Eine solche Komödie!... Welch ein Spaß!“ (Panizza, Tagebuch eines Hundes)

Triumphiert der Hund? Nein, er ist nur Chimäre des Teufels, eine eher zweitrangige Inkarnation, und als Bologneserhündchen wird der Teufel nicht sonderlich ernst genommen (Cazotte, Der verliebte Teufel), denn als Hund ist er nur Befehlsempfänger.

In Gesänge des Maldoror allerdings mißversteht eine Bulldogge den Befehl ihres Herrn und vergewaltigt „das blutüberströmte kleine Mädchen“, anstatt sie zu zerbeißen. Der Leser „wird keine Bulldogge kaufen!“ und „Die Kinder verfolgen sie mit Steinwürfen, als wäre sie eine Amsel.“ (Lauteamont) „Hey, Bulldog“, singen die Beatles, und die Hunde sind einsam und traurig und „beginnen zu bellen... so wie ein Kind, das vor Hunger schreit.... Wenn du zu Bett liegst und draußen das Bellen der Hunde hörst,... spotte nicht ihres Treibens: sie haben unstillbaren Durst nach dem Unendlichen, wie du, wie ich, wie alle Menschen mit schmalem, bleichem Gesicht.“ (Lautreamont) Armer Hund

Also ich würd‘ ihn ja bestimmt mit Güte erziehen ... Ihm ab und zu 'n kleinen Tritt verpassen, da, wo er nicht gleich blind von wird. (James Joyce, Ulysses)

Die allgemeine Verbitterung geht mit tödlicher Genauigkeit vor (Thomas Bernhard)

Ein Hund folgt mir, und läßt sich nicht abschütteln: das Ego (Nietzsche). Armer Hund: „Barbaren ergeifen ihn,... sie nageln ihn auf einen Tisch und sezieren ihn bei lebendigem Leibe.“ (Descartes). Und im Juli '68 kündigt die „Internationale der studentischen Kriegsdienstgegner“ in München, aus Protest gegen den Vietnamkrieg, die öffentliche Verbrennung eines Hundes an. Die Entrüstung ist groß. „Um dem Hund den Feuertod zu ersparen, macht eine Frau sogar das Angebot, man möge lieber sie verbrennen, als die arme Kreatur.“ ('Spiegel‘)

Um sich einerseits der Sezierung, andererseits tödlicher Symbolisierung zu entziehen, bleibt den Hunden nur die Selbstvernichtung: „Sie werfen sich... einer auf den anderen,... und zerreißen einander mit unglaublicher Gewschwindigkeit.“ (Lautreamont)

Doch auch im Tod gibt es für sie keine Erlösung. Den Asketen, die „hündisch“ leben, wie auch den Hunden, ist das Nirwana verwehrt: „Wenn jemand beständig wie ein Hund lebt, Hundesitten annimmt, wie ein Hund denkt, und sich wie ein Hund benimmt, so wird er nach dem Tod als Hund wiedererscheinen. Wenn er glaubt, daß er durch hündisches Leben ein Gott werde, so ist er im Irrtun... Wenn ihm das hündliche Leben gelingt, wird er ein Hund werden, wenn es ihm nicht gelingt, kommt er in die Hölle.“ ( Buddhas Reden)

Mit der Kultur findet das hündische Elend seinen Anfang. Die Haustierhaltung widerspricht der Idee der Gleichrangigkeit der Zehntausend Wesenheiten, bemerkt der chinesische Anarchist Pao-pu-tzu im dritten Jahrhundert; doch ich muß jetzt aufhören, „weil mich meine Katzen und Hunde stören, während ich schreibe, daß ich beim Schreiben alles durcheinanderbringe“. (Paul Leautaud) „Du sollst nicht springen, Dandy! Du sollst nicht springen, Dandy! Du sollst nicht springen, Dandy! Aber der Hund springt hoch... Da packte ich ihn blitzschnell am Genick. Ich zischte: Kuschwarda nicht mögen Hund!... Ich habe mein Messer gezogen und renne es dem Hund durch den Leib. (Also!... Das geht zu weit! Das kann ich nicht mehr bejahen.)... Ich reiße ihn an mich: Gute Speise für Kuschwarda. Leichten Fußes renne ich mit dem Hund unter dem Arm weg.“ (Achternbusch, Die Stunde des Todes)

Die eigentliche Auslöschung, das Ende des Hundes, symbolisiert jedoch der Surrealist Gerard, wenn er einen lebenden Hummer an einer blauen Schleife hinter sich herziehend, im Palais Royal spazierengeht: „Worin“, sagte er, „ist ein Hummer lächerlicher als ein Hund oder jedes andere Tier, das man sich folgen läßt? Ich mag Hummer, sie sind ruhig, ernsthaft, kennen die Geheimnisse des Meeres, bellen nicht und verschlingen nicht die Monade der Menschen wie die Hunde...“ So jedenfalls berichtet Nerval.