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Brandaktuelle Gesellschaftsspiele

■ Ein Sommertagstraum im schattigen „Club“ der Sparkasse / Unterschiedliche Begeisterungskoeffizienten und die Kunst des „Time Killing“

Ein netter Anblick. Herein geht's durch die doppelte Glastür, da stehen wir schon. Neun schüchterne Gestalten drücken sich verschämt - schüchtern eben - in die Ecke und warten, was da auf sie zukommt. Vor ihnen ein großer Raum, zu groß, mit vielen Tischen mit großen Computern darauf, und wir sind doch nur zum Spielen gekommen.

Brandaktuelle Gesellschaftsspiele hatte man uns versprochen. Der „Club“, diese blendende Idee, mit der die Sparkasse die jungen Menschen als Kunden einzufangen pflegt, auf daß sie nie im Leben ihr Geldinstitut wechseln, der „Club“ hatte seinen Raum gestellt, damit wir spielen können, wie jeden Sommer (letztes Jahr gab es so etwas schon einmal), spielen, ohne Angst haben zu müssen, daß die Sonne, oh Göttin, uns die Gesichtszüge erhellt.

Zwei richtige Männer (spielt hier keine Rolle), Michael vom Spieleladen, ein echter Kenner, und Heinz-Peter, sein Freund, auch er nicht ohne, zeigen uns wie man Tische rückt, und dann sieht es auch schon zünftig aus: drei

stil-echte kleine Zockertischchen harren der Dinge, und wir neun Spielergäste proben jetzt das Kunststück, uns an Vierertische zu verteilen. Heraus kommendrei Dreiertische, und auch das wirkt schon ganz perfide und ausgeklügelt, weil dadurch an jedem Tisch Platz bleibt für einen unserer Spielgurus, damit wir auch nichts falsch machen bei den brandheißen und funkelnagelneuen Spielen.

Und nun geht es ans Verteilen, alle lauschen ganz gespannt, während Michael die ersten drei Spiele erklärt. Da dreht es sich meist um Karten, bunt, und manche finden es witzig, bemalt.

Die Spiele verfolgen Grundmuster älterer, bekannter Gesellschaftsspiele wie Mau-Mau oder Romme, die sie aber variieren, damit man mindestens die Bedienungsanleitung kaufen muß. Und so sitzen wir da, blättern etwas ratlos in unserer Spielanleitung, bis uns endlich Heinz-Peter hilft, in die Pedale zu treten. „Der Ausreißer“ heißt unsere Version des Kartenglücks, spielt mit Assoziationen und Begriffen des Fahrrad

rennsports und ich keuche etwas machtlos daher, während Nicole ein ums andere Mal das Tempo steigert. Trotz der versprochenen taktischen Tücken ist dies Spiel doch arg an das Kartenglück angekoppelt, so daß sich die Sachlichkeit des Kartenlegens nicht auflösen will.

Mittlerweile geht es am Nachbartisch hoch her: „Willy Wacker“ heißt das Zaubermittel, mit

dem sich die Jungs aufgepeppt haben. Sie waren schon erfahrene Spieler, im letzten Jahr schon auf dem Spielenachmittag gewesen und konnten deshalb ganz ohne die Hilfe von Michael oder Heinz-Peter voll loslegen. Bei „Willy Wacker“, dem Romme-Ableger, geht es darum, möglichst viele imaginäre Biere auf imaginären Tabletts mittels eines imaginären Vorgangs, der durch das Ablegen

einer „Trink-Aktionskarte“ eingeleitet wird, sich imaginär einzuverleiben. Die Karten also umzudrehen und in die nähere Reichweite der eigenen Hand zu schieben. Da geht es doch tatsächlich richtig ab, die Ebenen des Imaginären verschieben sich, im Raum klingt es, als wären die 96 Biere, die so ein Willy Wacker in einer Spielrunde abzockt, feuchte Realität. Und das befreit natürlich.

Bei uns am Tisch aber bleibt es ruhig. Auch bei „Willy Wacker“. Kein Spieltalent - ich brauche die Intimität der Gegnerschaft, um Spielleidenschaft zu entwickeln - und doch fange ich langsam an, mit den Füßen zu scharren.

Dritte Runde. Ein Würfelspiel, ein gehobenes, wieder aus Heinz-Peters Privatbesitz, mit Taktik und Konfliktbereitschaft. „Conflix“ - auch Michael kennt es noch nicht und kommt an unseren Tisch, um sich schnell die Spielregeln einzusehen. „Conflix“ ist weniger ein Katalysatorspiel für verklemmte Encountergruppen als eine sozialliberale Version der alten Einzelkämpfer-Klassiker „Mensch ärgere dich nicht“ oder „Malefiz“. Getreu der Weisheit, daß Einigkeit stark macht und der einzelne dann im richtigen Moment sich von der Gemeinschaft absetzen muß, um zu den Gewinnern zu zählen, kommt man in diesem Spiel nur voran, solange man sich in einer Gruppe bewegt. Das muß man lange genug durchziehen, unterm Gewand schon mal den (imaginären) Dolch spitzend, um dann im Zieleinlauf mit einem gezielten Würfelwurf den Endkampf zu entscheiden.

Gesagt, getan, Spiel vorbei, der Tag ruft unerbittlich, einen Fotografen gab es auch, was er wohl fotografiert hat?

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