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Zwischen Revolution und Gemaule

Kohls Geißler Rausschmiß läßt die Bonner Gerüchteküche brodeln: Kandidiert Süßmuth? / Was planen die Freunde vom Noch-Generalsekretär? / Wo ist Späth? / Kohl vor dem Ende?  ■  Aus Bonn Ferdos Forudastan

Helmut Kohls Stuhl wackelt - und bleibt wahrscheinlich doch stehen. Die sogenannten Reformer innerhalb der Union (jene Kreise um Rita Süßmuth, Lothar Späth, Ernst Albrecht und Ulf Fink) begehren gegen den unwürdigen Rausschmiß Geißlers offen auf - oder lassen es bleiben. In der CDU-Führung wird diskutiert, ob sich auf dem Bremer Parteitag in zwei Wochen ein(e) GegenkandidatIn zu Helmut Kohl um den Sitz des Parteivorsitzenden bewirbt. Genannt wird immer wieder der Name Rita Süßmuth. Von der „Jungen Arbeitnehmerschaft“, der Jugendorganisation der CDU-Sozialausschüsse und von der Jungen Union Nordrhein-Westfalens wird sie zur Gegenkandidatur sogar öffentlich gedrängt. Und auch von Lothar Späth, heißt es, er würde Rita Süßmuth unterstützen. Die hat ihre Bereitschaft zwar nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert. Aus dem Kanzleramt soll sie gestern aufgefordert worden sein, sie möge allen öffentlichen Spekulationen über ihre mögliche Gegenkandidatur sofort entgegentreten. Das aber habe sie, so heißt es in Bonn, abgelehnt.

Chancen, statt Kohl in das höchste Parteiamt gewählt zu werden, hat die Vorsitzende der Frauen-Union und eine der stellvertretenden Parteivorsitzenden zwar keine. Aber jene Unionisten, die schon seit langem mit Helmut Kohl als Parteivorsitzenden und Kanzler unzufrieden sind und dessen einsame Entscheidung, Heiner Geißler nicht wieder vorzuschlagen, verurteilen, wollen wenigstens ihren Widerstand kundtun. Möchten die einen Kohl auf diese Weise nur tadeln, geht es den anderen darum, zu zeigen, daß es tatsächlich eine Alternative zu Helmut Kohl gibt. Dies spielt für das Jahr 1990, in dem acht Wahlen und damit möglicherweise weitere Niederlagen für die Union anstehen, eine wichtige Rolle.

Ob der Rausschmiß Geißlers zu einer Zerreißprobe für die Union wird (wie Lothar Späth dies voraussieht) oder ob der innerparteiliche Machtkampf ausbleibt (dies verkündeten zuversichtlich Helmut Kohl und der künftige Generalsekretät Volker Rühe) weist sich am Montag. Dann tagen Präsidium und Bundesvorstand der CDU. Und dies wäre die wirksamste aber auch die letzte Gelegenheit der innerparteilichen Kohl -Gegner ihren Widerstand anzukündigen. Wenn sie ihm dann nicht entgegentreten, keinen Gegenkandidaten aufstellen, würde jeder Protest unglaubwürdig, vermuten selbst sogenannte Reformer. „Es geht nämlich um etwas ganz wichtiges, es geht nach diesem Umgang mit Geißler um die Selbstachtung der Partei.“ So formuliert es einer, der diese Gruppe von innen kennt.

Planen Teile der CDU eine Palastrevolution oder belassen es die Kohl-Kritiker auch diesmal wieder beim Maulen? Für beides gibt es Indizien. Man habe schon einen Gegenkandidaten, man habe noch keinen Gegenkandidaten, man habe sich noch nicht darauf geeinigt, ob man einen Gegenkandidaten ins Rennen schicke - aus der CDU kommen die unterschiedlichsten Meldungen. Es wird also noch diskutiert, und dies hängt mit der Tragweite der anstehenden Entscheidung zusammen: Würde sich tatsächlich noch jemand anders als Kohl zur Wahl um den Parteivorsitz stellen, bekäme diese Person viele Stimmen - über 30 Prozent etwa so könnte der Machtkampf in der CDU offen ausbrechen. Monatelange Debatten um Richtung, Führung, Spaltung der Union würden folgen, verheerende Wahlniederlagen blieben nicht aus. Ob der Aufstand gegen Kohl geprobt werden wird oder nicht - „kann sein, daß diese Entscheidung erst in der allerletzten Stunde fällt“ sagt einer, der es wissen muß.

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