Sammeln und sein

■ Messen, Massen, Mutationen: Wer nicht einsackt, hat selber schuld und ist eigentlich auch gar nicht dagewesen / Die Funkausstellung ist eine Autoausstellung, ist eine Grüne Woche, ist eine Tourismusbörse / Wo viele stehen, ist der Aufkleber nicht weit

Die Massengesellschaft als Messegesellschaft hat den modernen Menschen, seit Jahrtausenden bekannt unter homo sapiens sapiens, zum rohen Sammlerdasein des Plastikbeuteltiers zurückgeführt. Mit unnatürlich weit aufgerissenen Augen und ebensolchem Maul durchquert es einzeln oder in Gruppen die hohen Hallen. In suchendem, langsamen Slalomgang, die verschwitzten Vorderextremitäten pendeln griff- und verdrängungsbereit.

Immer wieder läßt es sich von Licht- und Toneffekten anlocken, die stärkste Anziehungskraft aber haben Grüppchen von Artgenossen, die sich um potentielles Beutegut herum aufgestaut haben.

Die mutierte ehemalige Schöpfungskrone ernährt sich hauptsächlich von buntem Papier zum aufblättern, aufkleben oder anstecken. Sie bevorzugt, neonhelle, klimatisierte mit antistatischer Auslegeware versehene Innenräume und läßt sich in verschiedene Unterfamilien unterscheiden:

Da ist zunächst der Typus des Abräumers, der ohne Ansehen Aufkleber von den glatten Theken der Messestände in den Beutel fegt. Die Familie, insbesondere die Zonenableger, wollen mitversorgt sein. Diese Exemplare täuschen gern Informationswillen vor, indem sie Kataloge aufschlagen oder dem bereitstehenden Personal Suggestivfragen stellen. Dann greifen sie mit erleichtertem Gewissen umso beherzter zu.

Die zweite wichtige Spezies bevorzugt den ausgeschlossenen Rechtsweg - und geht darauf an keinem Preisausschreiben vorbei. Zum ökonomischen Ausfüllen der Gewinnkarten haben sie Stempel und Stempelkissen dabei, um die Gewinnchance zu potenzieren. Schamhaft sitzen sie in Treppenaufgängen und verrichten in Arbeitsteilung ihre Arbeit.

Die dritte Art betreibt ihre Leidenschaft in beamtenhafter Akribie. Mit alphabetischer Registermappe unterm Arm sammelt es Autogrammkärtchen von Idolen ein, wobei der Bekanntheits und Berühmtheitsgrad unerheblich ist. Andere haben es nur auf die Vermehrung ihrer Beutel abgesehen, sie lassen sich jede noch so kleine Broschüre eintüten und tüten jede neue Tüte nach dem Prinzip russischer Puppen wiederum ein.

Erholung findet das rastlose Beuteltier, indem es Glückräder umsteht, Videospiele umsitzt oder sich anstellt, um Einmaliges zu tun. Zum Beispiel von einem festgeschraubten Motorrad mit Oma telefonieren, zehn Heimorgeln hintereinander heimzuorgeln, im Sportwagen fernsehgucken/radiohören/CD-spielen oder in Zeitlupe und Breitwand spektakuläre Motorsportunfälle anzuschauen. Es ist auch möglich sich Größen des öffentlichen Lebens auf Peep -show-Distanz zu nähern.

Doch weil Eindrücke sich nicht einstecken lassen, bleiben sie für das Beuteltier, das schwer tragen will am Messebesuch, flach und grau. Es ist ihm nicht zu verübeln. Nach 25 Hallen fühlt es sich leer und erschöpft. Dann ist der prallgefüllte Beutel Trost und Halt, und zuhause entsteht das angenehm wohlige Gefühl, nicht nur mitgenommen zu sein, sondern auch zu haben.

kotte