Viktoria, Viktoria seit 100 Jahren

■ Jubiläum des Tempelhofer Fußballvereins

Die ersten Glanzleistungen vollbrachte der Tempelhofer Fußballverein Viktoria 89 auf „fidelen Abenden“ in Berliner Bierhäusern. Vor 100Jahren, der Geburtsstunde Viktorias, konnte man sich diese Bierruhe noch leisten, denn der Fußball steckte in den Kinderschuhen. Genau genommen war der Tempelhofer Club, wie alle „Fußball„-Vereine jener Zeit, keine rein fußballerische Angelegenheit. Nebenbei frönte man dem Rugby oder Cricket - eine Referenz an die Engländer, die das runde Leder importiert hatten.

Schon bald wuchs Viktoria zu einer sportlichen Großmacht heran, die nur die Mariendorfer Germania 88 und den English Football-Club zu fürchten brauchte. Allein bis Ende des Ersten Weltkrieges trugen sich die „Löwen“ dreizehnmal in die Ehrenliste der Berliner Meister ein. 1908 und 1911 holten sie gar den Deutschen Meistertitel an die Spree.

Nach 1918 allerdings machten andere Vereine den Viktorianern das Siegen schwer, allen voran Abonnementmeister Hertha BSC sowie Tennis Borussia, Blau -Weiß90 oder der BSV92. Lediglich 1934-1936 konnten die Tempelhofer den Berliner Lorbeer vor der erstarkenden Konkurrenz gewinnen. Im restaurierten Berliner Fußball nach 1945 gaben dieselben Clubs den Ton an. Noch zweimal, 1955 und im Jahr darauf, gelang Viktoria die Verbandsmeisterschaft, dann wurde die Wachablösung vollzogen.

Hertha BSC, Blau-Weiß90, BSV92 oder Tasmania1900, um nur diese zu nennen, verdrängten den Jubilar von der Spitze der Berliner Verbandsliga. Folgerichtig lehnte der Deutsche Fußball-Bund (DFB) 1963 einen Aufnahmevertrag Viktorias in die neugegründete Fußballbundesliga ab. Hertha erhielt den Vorzug. Für die himmelblauen Kicker aus Tempelhof begann der sportliche Niedergang, der mit dem Abstieg 1966 aus der Regionalliga Berlin eingeleitet wurde. They never come back

-dieser britische Sportterminus traf auf Viktoria zu. Stattdessen mußte der Verein um sein finanzielles Überleben kämpfen. Bereits 1964 war man gezwungen, die vereinseigene Sportanlage an der Eisenacher Straße zu verkaufen. Rund zehn Jahre später löste sich der Amateur-Oberliga-Kader vollständig auf, weil der Hauptsponsor abgesprungen war. Daraufhin durchlief das einstige Aushängeschild des Berliner Fußballs ein Tal der Tränen: Die erste Mannschaft stieg bis in die KreisligaA ab. Erst vor zwei Jahren, der Verein hatte eine Erbschaft gemacht, kam die Wende zum Besseren. Durch gezielte Spielereinkäufe gelang der Sprung in die viertklassige Landesliga. Höchstes Ziel der ehrgeizigen Vereinsführung bleibt jedoch der Wiederaufstieg in die Oberliga.

Jürgen Schulz