piwik no script img

Apocalypse Culture

■ Eine bei Amok Press erschienene Anthologie zeigt Ansätze, wie Leben in permanenter Apokalypse aussehen könnte

If a man asks: What is The Process? Say to him:

It is The End, the final ending of the world of men

It ist the agent of the End, the instrument of the End

and the inexorable Power of the End.“

(The Process Church of the Final Judgement)

Apokalypse meint die Festschreibung eines unüberwindlichen Endes, einer universalen Finalität, wo sich das Machtdispositiv der Wahrheit einnisten kann; nur von dort - dem Ende - gelingt die Organisation durch den Diskurs. Nun gibt es seit Derrida die Erkenntnis, daß die apokalyptischen Diskurse in der Tat an ihr Ende gekommen sind - jedoch nicht im Sinne ihrer jeweiligen Prophezeiungen, sondern im Sinne der Enthüllung, daß es keine finale Wahrheit gibt. Derrida führte die Formulierung vom „apokalyptischen Ton“ ein; eines apokalyptischen Sprechens, das sich den rudimentären beziehungsweise den radikalen Zug der Aufklärung bewahrt (der Erhellung von Wahrheit), ohne jedoch einem Wahrheitsparadigma zu verfallen. So ist die Anthologie anzugehen.

Beispielsweise zirkulieren noch immer diverse religiöse Endzeitversprechungen, so man will, kann man auch die Umwelt -Apokalypse zu diesen zählen, offensichtlich aber ist die apokalyptische Drohung der atomaren Vernichtung - unter ihrer Verheißung des absoluten Endes breitete sich eine globale Disziplinierung aus (die sogenannte „Abschreckung“), eine vollkommene Erstarrung des sozialen und politischen Handelns. Nichts geht mehr.

Hier setzt der Beitrag von John Zerzan („Vagaries of Negation: Data on the Decomposition of Society“) an. Er analysiert zunächst Herbert Marcuses „repressive Toleranz“, „repressive Entsublimierung“ und „Eindimensionalität“ als obsolet und geht über zu der „artificial negativity„-These von Paul Piccone (dem Herausgeber der Zeitschrift 'Telos‘). Dieser bietet das verführerische Bild einer Konsumenten -„Kultur“ an, die sich so vollständig und komplex ausgebreitet hat, daß sie jedem Subjekt die nötige kämpferisch-aktive Intelligenz entzieht: der Übererfolg der Integration. Nun braucht das System aber interne Opposition, um Kontrolle ausüben zu können; nach dem zu erfolgreichem Ausmerzen des Unzivilisierten muß der Monopolkapitalismus seine repressiven Kräfte zurücknehmen, um einer neuen Negativität die Möglichkeit zur Entstehung zu geben.

Diese aber sei deshalb „künstlich“: „artificial negativity“. Piccones Analyse bezieht sich auf die „Revolten“ der Sechziger, und sein Standpunkt ist so neu nicht. Zerzan widerspricht Piccone; nicht eine übermäßige Integration würde vor sich gehen, sondern eine Dis -Integration des Subjekts, welches aufschreit, da es von der Reproduktion der sozialen Ordnung ausgeschlossen wird. (Dies würde eine Parallele in der von Virilio beschriebenen „Deregulation“ haben, die er als Effekt eben der atomaren Apokalypse erklärt.) Soweit Zerzans These, er führt sodann und das ist der Spaß an dem Text - etliche statistische Erhebungen an, die Amerika als prototypische Nation des Endes zeigen; die Zahl der Patienten in „psychiatrischer, psychologischer Behandlung“ hat sich von 1960 bis 1984 nahezu verdoppelt, jugendlicher Selbstmord verdreifachte sich in den letzten 25 Jahren (nachdem die Rate etwa 100 Jahre stabil geblieben war), auch die Alten nahmen sich seit 1986 belegt - wieder häufiger das Leben, die Arbeitsmoral schwindet, statt dessen finden sich verstärkt Drogen- und Loyalitätstests bei Einstellungsgesprächen, seit 1970 befinden sich die USA in einer Produktivitätskrise (1984 fiel das Wachstum auf minus zwei Prozent) usw.

Rousseau argumentierte noch, Republiken würden sich gegen Monarchien durchsetzen, wenn sie die „spectators into the spectacle“ bringen würden - ein Lacher! Zumindest die Amerikaner kritisieren ihr politisches System nicht mehr, sie verlassen es; seit 1960 nimmt die Zahl der Wahlbeteiligungen kontinuierlich ab, 1986 war es die niedrigste seit 1942 (obwohl es die teuerste Wahlkampagne war). Noch tiefer geht wohl der steigende Anteil der Analphabeten - eine vollständige Abkehr von einem Staatssystem, das auf der Beteiligung der Regierten aufbaut. Zudem schwindet das Interesse an Geschichte, bei gleichzeitiger Steigerung des TV-Kosums mit dessen Video -augenblicklicher Deja-vu-Produktion. Zerzan erinnert an einen anderen Effekt, den die Postmoderne zeitigt; die Werbung offeriert mehr und mehr von etwas, was eigentlich nur als weniger und weniger bezeichnet werden kann Symbole der Erotik und der Freiheit werden massiv selbst bei den konservativsten (Banken und Versicherungen) Werbeträgern eingesetzt.

Abschließend der große Rundumschlag des „Währenddessen“: Die Öffentlichkeit glaubt nicht mehr an Fähigkeit und harte Arbeit, um zu Erfolg zu kommen, sondern spielt lieber Staatslotterie; Arbeitslose beziehen ihre Stütze und arbeiten nebenbei schwarz; Ladendiebstahl und Steuerhinterziehung steigen von Jahr zu Jahr; ebeso die Zahl der Gefängnisinsassen; eine Flut von Artikeln, die eine moralische Erneuerung fordern, bricht über das Land hinein; die Army (ebenfalls auf „New-Age„-Propaganda eingeschwenkt: „Be all that you can be!“) leidet an Drogenmißbrauch, allgemeinem Analphabetismus und grassierendem Diebstahl von Armee-Eigentum. Und so weiter, und so fort.

Zerzan endet mit Baudrillard: „Überall werden Die Massen aufgefordert zu sprechen, sie sollen sozial, politisch leben... das einzige Problem heute ist das Schweigen der Massen.“

Apocalypse Culture enthält jedoch eher beispielhafte, als analytische Beiträge (wie den von Zerzan) - getreu der These von Baudrillard, daß der amerikanische Pragmatismus das Hyperreale, die Ausschaltung des Realitätsprinzips durch direkte, halluzinatorische Realisation des Wunsches erzeugt. Die amerikanische Realität sei die Traumkarte. Die Folge davon: die Auslöschung des Unbewußten, da es nichts Verdrängtes mehr gibt.

Adam Parfrey präsentiert in Latter-Day Lycanthropy die Geschichte des Werwolfs, der „shape changer“, mit vielen abstrusen und aktuellen Belegen: Massenmörder, die wie „Werwolf korps“ operieren, die satanischen Atavismenwiederbelebungstechniken von Crowley, Grant und Spare, Künstler wie Kristine Ambrosia, die in lykantropischen performances „den Wolf ruft“ und seinen Charakter annimmt, sogar ihren Körper dahingehend - belegt!

-modifiziert: ein „shape changer“.

Wie überhaupt ein Körper-Ansatz (der ja auch in der europäischen Philosophie als „Wiederentdeckung des Taktilen“ zirkuliert) häufig erwähnt wird: die Nekrophilie von Karen Greenlee, die Verteidigung des fetten Körpers als alte magische Tradition der Verehrung der Mutter -/Fruchtbarkeitsgöttin (Tim O'Neill), oder die Fakir -Techniken von Musafar (interviewt von Kristine Ambrosia), der mit rabiaten Selbstfesselungen, Aufhängungen etc. „out -of-body-experiences“ macht.

Doch auch die Gegenseite („Is the body obsolete?“) kommt zu Wort: die Eugenik wird anhand von Zitaten (Altes Testament und Plato über Herbert Spencer und Graham Bell zu Bertrand Russell und Aldous Huxley) näher gebracht, David Paul stellt in seinem Beitrag „Man a machine“ diverse Vorschläge zur Schaffung von „interfaces“ zwischen Hirn/Körper und Mechanik/Elektronik dar (der Einfluß der Kybernetik, Jose Delgados Telemetrie-Versuche, Biochips etc).

Auch ganz allgemein wird auf „Apocalyptic Science“ eingegangen: Charles Fort (der Begründer dieser glorreichen Gesellschaften, die alle paranormalen Ereignisse sammeln und auswerten) wird zitiert: „Every science is a mutilated octopus“. Die Grundlagen heutigen Technologieselbstverständnisses werden als satanische und naturversklavende nochmals in Texten von Oswald Spengler und Jim Brandon (leider nicht von Francis Bacon) offenbart, und auch die Orgon-Theorie von Wilhelm Reich wird erläutert direkt anschließend ein Beitrag des Reich-Mitarbeiters Trevor James Constable, in dem dieser von Reichs Kampf gegen die Ufos berichtet.

Im Teil „Apocalypse Art“ finden sich vor allem Strömungen der „art brut“, Beiträge von Schizophrenen, über Artaud, sowie eine kunsthistorische Betrachtung der letzten 60 Jahre (die vor allem langweilig ist, da sie sich nur im Rahmen der „Kunst“ bewegt - als Überblick jedoch akzeptabel). Herausragend ein Interview mit Peter Sotos, dem Herausgeber von Pure, einem „child-pornography-mag„; „I'm a great fan of extreme sexual violence and sadism. (...) My sexual tastes stem from a full philosophy and Weltanschauung. (...) I don't find everyone (Heraushebung, Stoert) who kills, beats or rapes someone admirable. I'm interested and respectful of those who view and understand their instincts completely and correctly and then go about satisfying them. I find fuckups like Charles Manson and Ed Gein (Vorbild für Tobe Hoopers Kult-Film The Texas Chainsaw Massacre) terrible boring and laughable.“

Außerdem weisen noch die Texte von Herausgeber Parfrey (Aesthetic Terrorism) und John Zerzan (The Case Against Art) über einen reinen „Kunst„-Begriff hinaus, stellen Zusammenhänge zwischen zeitgeschichtlichen Ereignissen und diversen philosophischen Diskursen her. Parfrey: „'Aesthetic terrorism‘ ist ein Begriff, der besser zum gesichtslosen Regime der Konsumentenkultur als zur 'Avantgarde‘ paßt.“ Postmoderne Kunst orientiere sich an der Kritik, würde vorgeben, die Hand zu beißen, die sie füttert, während sie sich gleichzeitig den Biß nehmen ließe. Die Mehrzahl dieser, nach Kunst- und Rock-Magazinen gestylten Rebellen spielen Rebellions-Psychodramen und verkaufen dies den willigen Konsumenten; diese Strategie ist (man verzeihe den Begriff) das Simulakrum des Terrorismus.“

Die Kunst, die er noch entdecken kann, wird gemacht von Peter Sotos, Charles Manson und John Hinckley Jr. (der Junge, der Jodie Foster poetische (!!!) Liebesbriefe schrieb und auf Ronald Reagan schoß) einerseits und den „wirklich ekelhaften Beispielen ästhetischen Terrorismus'“ des Supermarkt-Bewußtseins andererseits.

Im vierten Abschnitt von Apocalypse Culture, betitelt „Apocalypse Politics“, gibt es unter anderem einen Text echter Terroristen, „Let's do justice for our Comrade P -38“ von den „Roten Brigaden“. Dies ist, in seiner analytischen Schärfe, ganz ohne Zweifel eines der bedeutendsten Pamphlete apokalyptischer Politik: Kurz und prägnant wird der Unterschied zwischen Revolvern, halb -automatischen Pistolen und automatischen Waffen erklärt, um dann auf die Geschichte und Vorzüge der Walther P-38 einzugehen.

Larry Kickham schreibt in The Theology of Nuclear War die Beziehungen zwischen religiösen Fundamentalisten und den politischen Führern der USA fest. Auch Reagan gehörte zu den Leuten, die sich mühen, die Verheißungen der Apocalypse des Johannes auf heutiges Weltgeschehen zu übertragen - und wir alle haben Glück gehabt, daß nicht ein Schwarzer Boss des „Reichs des Bösen“ geworden ist.

Die Anthologie enthält noch wesentlich mehr Beiträge, auf die hier nicht eingegangen werden kann. Sei zumindest noch der Text über die diversen Interpretationen der Quantenphysik und jener von Gregory Whitehead Beyond The Pleasure Principle Towards A Body Without Organs genannt; wie schon der Titel andeutet, wird da eine Auseinandersetzung mit Deleuze geleistet: Text gestaltet sich als Erläuterungen zu Abbildungen, die man nicht sieht.

Schließlich: An allen philosophischen, psychologischen, soziologischen und politologischen Fronten wird die Apokalypse als Sinn-Krise, beziehungsweise als Zerfallen ordnender Diskurse problematisiert. Apocalypse Culture zeigt - pragmatisch, ohne moralisch-humanistische Interpretation - wie es sich in der „Apokalypse der Apokalypse“ (Derrida) haust.

Rudolf G. Stoert

„Apocalypse Culture„; Adam Parfrey (ed.); 260 Seiten, viele Illustrationen, ca. 40 DM; ISBN 0-941 693-02-3; zu beziehen über: Pociaos books, Postfach 190 136, 5300 Bonn 1

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen