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Aushilfsarbeit buchstäblich zum Kotzen

■ Bei der Import-Firma Melchers vergifteten sich 80 AushilfsarbeiterInnen an Lederhandschuhen

Ein attraktives Angebot hatte die Job-Vermittlung beim Bremer Arbeitsamt in der vergangenen Woche. Für 12,50 Mark pro Stunde suchte die Importfirma Melchers Aushilfskräfte. Deren Aufgabe: Im Lagergebäude von Melchers im Bremer Holzhafen Lederhandschuhe sortieren. Drei Tage hielten die 80 schließlich eingestellten Aushilfskräfte, zumeist StudentInnen, durch.

Dann, Mittwoch nachmittag, wurden einige nach Hause geschickt. Seit gestern morgen ruht die Arbeit ganz. Der Grund: Einige der ArbeiterInnen hatten erbrochen, andere mit Schwindelgefühlen zu kämpfen. Schuld an der Massenvergiftung, so stellte gestern morgen das Gewerbeaufsichtsamt fest, ist das Gift Ethylenoxid. Der Betrieb wurde vorläufig stillgelegt.

Das farblose, hochexpolsive Gas wird zum Sterilisieren verwandt, insbesondere im medizinischen Bereich. Über Ethylen- oxid heißt es in den Merkblättern 'Gefährliche Arbeitsstoffe‘: „Starke Einwirkung führt mit mehrstündiger Latenz zu Reizungen der Augen und Atemwege sowie zu ZNS -Depressionen. Übelkeit, periodisches, langanhaltendes Erbrechen, Kopfschmerzen,

Durchfall werden gefolgt von Verwirrtheitsanfällen, ... Eine krebserzeugende Wirkung wurde im Tierversuch nachgewiesen.“ Und an anderer Stelle der Merkblätter steht: „Unbedingt zum Arzt.“ Das heinmtückische an dem Gas: Es besitzt keine „sensorischen Warneigenschaften“, soll heißen: es ist erst in lebensgefährlich hoher Konzentration überhaupt zu riechen.

Die Lederhandschuhe waren in einer Hamburger Firma mit Ethylenoxid begast worden, da sie auf dem Transport von China in die Bundesrepublik Schimmel angesetzt hatten. Die Bremer Aushilfskräfte nun sollten die Handschuhe sortieren. Die immer noch schimmeligen sollten weggeworfen, die anderen für den Verkauf in Hamburger Tschibo-Läden vorbereitet werden.

Melchers-Abteilungsleiter Schröder wäscht seine Hände in Unschuld. Er sei davon ausgegangen, daß die Hamburger Firma, die die Handschuhe begast hatte, die Ware „mit 0-Wert“ übergeben habe. „Wir haben von der Giftigkeit nicht wissen können.“ Was mit den zwei LKW-Ladungen Handschuhe passieren soll, ob sie eventuell nach einer Entlüftungsaktion doch noch in

den Tschibo-Verkauf kommen, ist laut Schröder bislang nicht klar.

Messungen des Bremer Gewerbeaufsichtsamtes ergaben inzwischen, daß der zulässige Grenzwert von drei Milliliter pro Kubikmeter Atemluft um das Acht- bis Zehnfache überschritten wird. In den Kartons in denen die Handschuhe lagern, konnte das Gewerbeaufsichtsamt nicht messen, da der Meßbereich der Röhrchen überschritten wurde. Das Gas in den beiden Lagerräumen soll jetzt „durch Lüften entfernt werden“, so Detlef Klingemann vom Gewerbeaufsichtsamt.

Die ärztliche Untersuchung der Betroffenen lief gestern nachmittag nur schleppend an. Wegen des Feuers vor zwei Monaten, sind die Laborräume des eigentlich zuständigen Hauptgesundheitsamtes noch nicht wieder zu nutzen. Deshalb wurde ein privater Internist mit den Untersuchungen beauftragt. Klingemann zu möglichen Folgeschäden: „Wenn denen nicht mehr übel ist, sind keine chronischen Schäden zu erwarten.“ Und zu einer möglichen Krebsgefahr: „Das schwebt immer wie ein Damoklesschwert über einem.“

hbk

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