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Rambo - die Null - in Nullen und Einsen aufgelöst

■ Audiovision als der vorläufige Höhepunkt unserer Mediengesellschaft / Kultur im Binärcode verschlüsselt unterwegs zwischen Satelliten und Erde Kino und TV sind nur als ein historisches Intermezzo zu betrachten / Gewappnet mit Brecht und Dialektik hinein in den „medialen“ Rummel

„Die Zeitung ohne Papier und ohne Entfernungen wird eine großartige Sache sein“, meinte Lenin 1920 im Blick auf die sich gerade entwickelnde Radiotechnik und die dadurch entstehenden Möglichkeiten der Propaganda und Agitation „besonders für die des Lesens und Schreibens unkundigen Massen der Bevölkerung als auch zur Übertragung von Lektionen“. Seine berühmte Addition: Elektrifizierung und Sowjetmacht Sozialismus ist somit eng verbunden mit dem Radio.

Während jedoch am 7.November 1917 die Nachricht über die erfolgreiche Machtaneignung der Sowjets noch über codierten Morsefunk verbreitet wird, gelingen an der deutschen Westfront um die selbe Zeit schon erste Experimente der Übertragung von Sprache und Musik mit Hilfe von Röhrensendern und Rückkopplungsempfängern. So kommen deutsche und englische Soldaten in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs zum ersten Mal in den Genuß von Rundfunkunterhaltung - übrigens die erbittertsten Konkurrenten auf dem damaligen Weltmarkt der Funkunternehmer.

Kurze Zeit später war das Radio in Deutschland fest in der Hand der Post. Die vielfältigen Aneignungsversuche „von unten“ blieben aufregende Zwischenspiele. Angesichts der Übermacht von Staat und Industrie verlegten sich die Ausgeschlossenen aufs Dichten: „Vergiß es keinen Tag Prolet, daß hinter deinem Rundfunkgerät, ob Spiel ob Ernst, von früh bis spät, der Gegner deiner Klasse steht.“

Heute boomt der unterhaltungselektronische Markt. Dem „Flow of Cash“ an den internationalen Börsenmärkten entspricht der „Flow of Broadcasting“ in den Fernsehnetzen und Kabelsystemen. Allein Bertelsmann setzte 1987 11,5 Milliarden Mark um. Das Tempo technologischer „Erneuerungen“ (zum Beispiel das hochauflösende Fernsehen HDTV) ist schwindelerregend. Nun hat sich ein Medienwissenschaftler gefunden, der diese Fragmente in den Zusammenhang bringt. Der es nicht dabei beläßt, eine auf den einzelnen Gegenstand gerichtete separate Geschichte zu schreiben, sondern die Voraussetzungen und die Beziehungen in der Medienentwicklung zu untersuchen.

„Im Spannungsfeld zwischen Technik und Kultur“ - das klingt ja nur so lapidar - rekonstruiert Siegfried Zielinski (Medienwissenschaftler an der TU Berlin) die Geschichte der verschiedenen medialen Formen vom frühen Kino über das Fernsehen bis zur „audio Mega-Maschine“.

Kino-Apparate als

Keimzelle des Fernsehens

Die Keimformen des Kinos lassen sich in den frühen fünfziger Jahren des 19.Jahrhunderts auffinden. Franz von Uchatius, ein österreichischer Artillerieoffizier, stellte bereits 1853 einen Apparat zur Darstellung beweglicher Wandbilder vor, um die Soldatenausbildung zu effektivieren. Präsentiert wurde es schließlich im goßen Stil in Form von Rundumvisionen (Panoramen) auf der Pariser Weltausstellung 1900.

Als medialer Fluchtpunkt des 19.Jahrhunderts stellt das Kino die entsprechende soziale Form dar, die durch Industrialisierung geprägten Massenbedürfnisse und -wünsche zu erfüllen.

Während simulierter Zug-, Ballon- und Dampferfahrten konnten die Besucher die Bilder fremder Erdteile und Völker

-auch kolonialistisch schwelgend - genießen. Doch in der Entstehung des „Apparats Kino“ schält Zielinski bereits die Zellenform des Fernsehens heraus. Schon während der letzten drei Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts lassen sich die ersten theoretischen und experimentellen Bausteine für das Projekt des technisch vermittelten Sehens entdecken. Diese neue Art des Sehens ist dadurch charakterisiert, daß die Reproduktion von Gegenständen zeitlich mit deren Betrachtung zusammenfällt. Während das Kino ein Medium der sogenannten „Out-door„-Kultur ist, denn es findet im öffentlichen Raum statt und wird mit vielen anderen zusammen erlebt, stellt das Fernsehen ein Medium dar, das auf die persönliche Nutzung im privaten Raum abzielt.

Das Fernsehen beschreibt Zielinski somit als weiteren Fluchtpunkt einer durch Weltkriege, Wirtschaftskrisen und Faschismus völlig zerriebenen privat-individualistischen Gesellschaft. Doch auch das technische System Fernsehen trägt bereits deutlich erkennbare Züge seiner Aufhebung in der nächst höheren Form: die Audiovision. Nach einer Phase der schier unbegrenzten privaten Mobilität des Autos, die im Fernsehen ihre mediale Entsprechung hatte, ereignete sich nun - Anfang der siebziger Jahre - ein schockartiger Einbruch. Rohstoffknappheit, ökonomische Krisen und wachsende Naturzerstörung gaben den Impuls zum Ausbau des High-Tech-Kapitalismus und damit zu einem neuen Schub für die elektronische Unterhaltungstechnologie.

Eine Endlosschleife

von Reklame

Die nun entfaltete Audiovision, also die Technik des Speicherns und Wiedergebens von Ton und Bild, stellt er so vor: „Technologisches Herzstück dieses Systems ist ein tendenziell globales Netz aus Glasfasern mit Satellitenverbindungen, durch das die Datenströme mit unterschiedlichem Informationsgehalt in egalisierter Form fließen.“ Diese Informationstechnologie ermöglicht neue Formen der Mobilität. Im „audiovisuellen Diskurs“, so Zielinski, wird das im Binärcode aufgelöste filmische Material mit den integrierten digitalen Datennetzen der Handels- oder Dienstleistungsunternehmen und den Datenempfängern der privaten Haushalte verbindbar. „Das Fiktionale wäre verknüpfbar mit dem Faktischen des Arbeitsalltags: Rambo, Heimat, Dallas oder Der Himmel über Berlin aufgelöst in Zahlenreihen aus Nullen und Einsen wie die Bankanweisung, das Entlassungsschreiben, die Finanzkalkulation oder der architektonische Entwurf.“

Beispielhaft für ein Fernsehprogramm in den Zeiten der Audiovision nennt Zielinski den Musikkanal MTV: „In einer ununterbrochenen 24stündigen Endlosschleife wird hier ausschließlich Reklame gesendet (...) faszinierende Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz, Sequenzen unglaublicher Plattheit, aber auch formaler Schönheit (...) zugeschüttet in der Unendlichkeit der frohen Botschaften des Konsums aus dem Satellitenhimmel“, mit dem einen Zweck: „den konservativen Klängen zu möglichst optimalem Umsatz an den Kassen des Schallplatten- und CD-Handels zu verhelfen“. Es ist schwer, sich der Faszination dieser audiovisuellen Wunderwelt zu entziehen. An manchen Stellen - so erscheint es angesichts der Begriffsflut und der beschreibenden Wucht des Textes - auch für den Autor selbst. Doch der Eindruck ist nicht gerechtfertigt.

Spätestens im Schlußkapitel weist Zielinski auf die Brüche und die Widersprüchlichkeiten der Entwicklungen hin. Er zeigt die Möglichkeiten des eingreifenden Handelns im Blick auf eine humane und fortschrittliche Gesellschaftsvision. Zielinski betont das Vorhandensein und die Bedeutung des „sozialen Raums“, in dem sich letztlich auch die mediale Interaktion abspielt. Er fordert: „Das Gesellschaftliche und das Private in Wechselwirkung zu denken“, was heißt, „den Widerspruch als essentielle Kategorie in die Bewegung einzubeziehen“. Das macht den Text so spannend: Daß er Katastrophen- oder Verelendungstheorien vermeidet, ohne dabei bejahend zu werden. Und daß, wie Brecht es formulierte, gerade auch die „Neuerungen“ gedacht und beschrieben werden - „durch immer fortgesetzte, nie aufhörende Vorschläge zur besseren Verwendung der Apparate im Interesse der Allgemeinheit“. Dieser Satz von Brecht ist, sozusagen als Programm, fest in Zielinskis Text eingeschrieben.

Ulrich Schmid

Siegfried Zielinski: „Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiel in der Geschichte“. (Kulturen & Ideen. Rowohlts Enzyklopädie) Hamburg 1989, 24,80 DM

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