„Endlich mal die Sau rauslassen!“

■ Seit anderthalb Jahren spielt frau in Wilmersdorf „Rugby“ / Funktionäre des BSV 92 taten sich schwer, eine der letzten männlichen Sportbastionen quotieren zu lassen

„Eh, die spielen ja Rugby! Wußte gar nicht, daß Frauen Rugby spielen!“ staunt ein neunjähriger Junge, der großspurig mit seiner Baseball-Ausrüstung an dem riesigen Spielfeld mit dem saftig grünen Rasen vorbeiläuft, auf dem sich etliche Frauen mit einem eiförmigen Ball tummeln.

Diese Frauen gehören zur ersten und bislang einzigen Frauen -Rugby-Mannschaft in Berlin. „Kondition und Reaktionsschnelligkeit brauchst du hier schon“, meint Silke (18), während sie ihren Mannschaftskameradinnen zusieht. Hier auf dem Bezirkssportplatz des Leistungszentrums Wilmersdorf werden wichtige Techniken trainiert, um im Spiel blitzschnell den Ball weiterzugeben - sei es durch Treten oder Werfen - und ihn der Punkte wegen hinter die „Mallinie“ abzulegen.

Im Staffellauf geben sie den Rugby-Ball weiter und rennen blitzschnell Slalom um versetzt aufgestellte Hüte. Silke, die gerade im Abitur steckt, kann zur Zeit nicht mitmachen wegen einer alten Sportverletzung - vom Handball. „Beim Fußball habe ich mir wesentlich mehr wehgetan als hier“, bestätigte Barbara (28), die als Tierärztin arbeitet. Fouls seien viel seltener bei den Frauen - im Gegensatz zu den Männern, bei denen durch kräftigen Einsatz der Ellenbogen es „schon mal brutal zugeht“.

Seit anderthalb Jahren trainieren die Rugbyfrauen hier in Wilmersdorf im Verein BSV 92, bei dem bereits etliche Rugbymannschaften für Jungs und Männer Tradition haben. Trotzdem taten sich die Funktionäre des Vereins, die laut Trainer Alexander Latotzky (41) „eine der letzten Bastionen des Männersports wanken sahen“, am Anfang schwer mit dem Gedanken an eine Frauenmannschaft.

Latotzky hatte im Winter 1987 den Vorschlag gemacht, auch in Berlin eine Frauenmannschaft für Rugby zu gründen, nachdem er auf einem Lehrgang in Hannover zum ersten Mal Rugbytrainerinnen kennengelernt hatte. Entgegen den Vorurteilen des eigenen Vorstands - „das sieht doch unästhetisch aus“ - begann er über Radio, Handzettel und Mundpropaganda Frauen dafür zu suchen. Als es im April 1988 dann soweit war und 15 Frauen zum ersten Mal beim Rugbytraining auftraten, war der Platz voller männlicher Zaungäste aus dem Verein, die zuschauten und lachten. Mittlerweile ist ihnen das Lachen aber vergangen, seit die Frauenmannschaft dieses Jahr den dritten Platz beim Deutschland-Pokal belegt hatte.

Wären genügend Frauen-Rugby-Vereine als regionaler Unterbau da, hätten sie sogar den Sprung in die Bundesliga geschafft. Trostpflaster ist der Sichtungslehrgang, der demnächst stattfindet und drei Spielerinnen aus der Berliner Mannschaft für die Nationalmannschaft ermitteln soll. Dafür üben die Rugby-Frauen immer wieder das berühmte Tiefhalten (siehe Kasten) an einer Art knallrotem, überdimensionalen Sandsack, gegen den sie im vollen Anlauf anrennen, ihn umklammern und mit ihm umfallen.

In der Realität, die gleich anschließend im Trainig geübt wird, bringen so die „Stümerinnen“ die Gegnerin mit dem begehrten Ball zu Fall. „Am Anfang habe ich auch Angst vorm Fallen gehabt“, erzählt Saara (21), die demnächst eine Lehre im graphischen Bereich antrit und deshalb zum ersten Mal Verletzungen fürchtet. Ihrer Meinung nach kämpfen die Frauen im Rugby fairer und mit mehr Geschicklichkeit, da sie nicht wie die Männer mit Kraft - beispielsweise im „Gedränge“ auftrumpfen könnten. (Daß die Frauen den Männern jeden Schwachsinn nachmachen, wenn auch softer - was soll daran emanzipiert sein? - d.S.)

Das Klischee der „dicken Matrone im Sturm“ sei ihr auf ihren zahlreichen Turnieren in Westdeutschland noch nicht begegnet. „Rugby bietet viele Plätze für ganz unterschiedlich sportliche Frauen, die typische Rugbyspielerin gibt es nicht“, so Trainer Latotzky, der eine Spannbreite von 17 bis 34 Jahren als Alter in der Berliner Frauenmannschaft angibt. Die Älteste, die er kennt, sei eine 40jährige Rugbyspielerin aus Heidelberg, die „schwer auf Zack ist“.

Behauptet hat sich die Frauenmannschaft auch bei einigen gemischten Spielen mit den Männermannschaften des eigenen Vereins, wobei „die aber rücksichtsvoller und weniger aggressiv aufgetreten sind als sonst“, so Silke. Das Verhältnis sei mittlerweile gut zu den männlichen Spielern. Einmal seien die Männer sogar als Cheerleader mit selbstgenähten Röckchen und Puscheln an Armen und Beinen zum Spiel der Frauen gekommen, um diese mit „Usch, Usch“ beim Gedränge anzufeuern.

Mundschutz und dick ausgepolsterte Schultern brauchen die Rugbyfrauen nach eigenen Aussagen nicht. Auch bei einem Spiel im November bei 20Zentimeter hohem Schnee trugen sie nur ihre kurzen Hosen, das Trikot und die Stollenschuhe. Frösteln kommt bei einer Spieldauer von insgesamt 60 Minuten in ständiger Aktion - bei den Männern 80 Minuten - mit drei Minuten Pause zum Auswechseln etwaiger Verletzter kaum auf.

Auch von Spielen auf schlammigem Untergrund kann Silke erzählen: „Wieso soll das denn so schlimm sein? Die gegnerische Mannschaft kommt doch genauso langsam voran!“ Verena (21) findet es schön, „mal die Sau rauszulassen, der typischen Frauenrolle zu entkommen“. (Hier kommt ja doch die aggressive Wahrheit zum Vorschein - d.S.)

Sie erzählt lachend, daß ihr erst vor kurzem im Urlaub von männlicher Seite entsetzt erklärt wurde, daß Rugby nichts für Frauen sei, „nur Ballett und Tanzen soll für Frauen schön sein“.

Karin Frigge

Bericht über das Zweitligaspiel Blau-Weiß 90 gegen Wattenscheid 09 siehe Seite 18.