Gescheitert-betr.: "Lesearten eines Gedichts" ("Nachbar Meier" von Kuno Bärenbold), taz vom 1.9.89

betr.: „Lesarten eines Gedichts“ („Nachbar Meier“ von Kuno Bärenbold), taz vom 1.9.89

(...) Was wird gesagt in dem Gedicht? Und wie hat der Autor gearbeitet? Das Gedicht trägt rassistische und faschistische Denkweisen zusammen, die von einer fiktiven Figur ausgesprochen werden. Nachbar Meier glorifiziert die Schulterschlußmentalität der Nazihorden, beschimpft die Türken, verleumdet Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger und knüpft schließlich mit der Forderung nach „Ausrottung“ alles und aller Nichtdeutschen an das Vokabular des Unmenschen an. Am Ende, so unterstelle ich dem Autor wohlwollend, soll die Ansammlung der Naziparolen vermutlich relativiert und als Schändlichkeit entlarvt werden durch die Zeile „alles was rechts ist“. Aber hier scheitert das Gedicht.

Das Bild der Schlußzeile ist ungenau, die Semantik zu indifferent, um das oben Gesagte zu entwerten, zu konterkarieren. Der Autor hat, und ich vermute bei ihm weiterhin eine aufklärerische Absicht, sein Gedicht nicht geschützt vor dem Zugriff von der falschen Seite. Das Gedicht, vorgelesen auf einer Versammlung von Neofaschisten, bekäme wahrscheinlich viel Beifall, und dies vor allem deshalb, weil der Slogan „alles was rechts ist“ von den Irregeleiteten heutzutage wieder als Ausdruck von Stärke empfunden wird. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen verstehe ich die Reaktionen der Leserinnen und Leser in Karlsruhe.

Johann Voß, Wilhelmshaven 31