Frauenhändler vor Gericht

■ Erstmals wurden abgeschobene Frauen als Zeuginnen wieder eingeflogen / Von Gunhild Schöller

Bislang brauchten Frauenhändler kaum zu befürchten, wegen illegalen Menschenhandels angeklagt und verurteilt zu werden. Denn die dafür notwendigen Zeuginnen der Anklage werden nach Bordellrazzien prompt in ihre Heimatländer abgeschoben und stehen damit der Justiz nicht mehr zur Verfügung. Jetzt hat erstmals ein Gericht im niedersächsischen Hildesheim die Konsequenzen gezogen: Es ließ in einem aufwendigen Ermittlungsverfahren die Zeuginnen in Thailand suchen und wieder einfliegen.

„Mir wurde gesagt, in Deutschland kann ich viel Geld verdienen. Ich soll Getränke servieren. 300 Mark am Tag, da habe ich den Schuldschein unterschrieben.“ Sehr klein, zierlich und scheu steht die junge Thailänderin als Zeugin vor Gericht. Sie spricht so leise, daß selbst die Übersetzerin direkt neben ihr Mühe hat, sie zu verstehen. Dabei ist der Auftritt von Buppha S. aus Thailand vor der 15.Strafkammer des Landgerichts in Hildesheim eine kleine Sensation. Zum erstenmal gelang es, in einem Prozeß gegen Frauenhändler und Besitzer von Thai-Bordellen die betroffenen Frauen als Belastungszeuginnen vor Gericht zu hören.

„Wo sollten Sie arbeiten?“ Der Vorsitzende Richter fragt sachlich, präzise und so einfühlsam wie möglich nach allen Details, um den Vorwurf des Menschenhandels, der hier erhoben wird, zu überprüfen.

„In einer Bar.“

„Was haben Sie sich darunter vorgestellt?“

„Einen Kaufladen. Wie bei uns. Man verkauft Essen und Getränke.“

Ahnungslos und gutgläubig tappen viele Frauen aus Südostasien in die Fallen der Schlepper, die ihnen einen schnellen und leichten Verdienst als Tänzerin, Serviererin oder Haushaltshilfe im gelobten Land Bundesrepublik versprechen. Aber zu beweisen, daß die Frauen, bevor sie in die BRD kamen, keine Ahnung hatten, daß sie hier als Prostituierte arbeiten sollen, gelingt vor Gericht fast nie. Nach spektakulären Polizeirazzien in Puffs und Clubs werden die Ausländerinnen, die dort arbeiten, sofort in ihre Heimatländer abgeschoben. Prostitution von Ausländerinnen gilt hierzulande grundsätzlich als illegal. Mit der Abschiebung verliert die Justiz jedoch ihre wichtigsten Zeuginnen. Die Verfahren gegen Frauenhändler werden fast alle eingestellt oder versanden, weil sie an krasser Beweisnot kranken.

Im Hildesheimer Fall jedoch machten sich Kripo und Staatsanwaltshaft die Mühe, die abgeschobenen Frauen in Thailand zu suchen. Mit Hilfe einer thailändischen Sonderkommission waren sie in vielen Fällen erfolgreich. Sie konnten die Frauen dort vernehmen und sie nun für ihre Aussage vor Gericht als Zeuginnen einfliegen lassen.

„Wußten Sie, daß Sie in dieser Bar auch... äh, animieren müssen?“ Richter Gerlach weiß nicht, wie er es nennen soll.

„Ja, natürlich“, antwortet Buppha S. ohne Zögern. Alle Prozeßbeteiligten sind erstaunt. „Erklären Sie ihr, was animieren bei uns bedeutet“, bittet darauf der Richter die Übersetzerin. Die beiden Thailänderinnen sprechen kurz untereinander. Dann kommt die Antwort: „Nein. Ich dachte, man fragt die Gäste, was sie trinken wollen. Wie bei uns.“ Der Unterschied zwischen den Kulturen und die Schwierigkeit, es in Worte zu fassen, die in einen Gerichtssaal passen und nicht die Würde der Frau verletzen, machen sich in dem Prozeß immer wieder deutlich bemerkbar.

„Wann haben Sie zum erstenmal erfahren, daß Sie auch mit einem Mann aufs Zimmer gehen müssen?“, fragt Richter Gerlach weiter

„Von den anderen Thailänderinnen, die dort im Waldfrieden (der Name des Puffs) waren. Sie sagten, wenn man nicht so arbeitet, verdient man nicht genug, um die Schulden zurückzuzahlen.“ Alle Kosten wurden vom Ehepaar A., das im Großraum Hannover drei Thai-Bordelle betrieb, den Frauen aufgehalst: Die Vermittlungsgebühr für den Schlepper in Thailand, die Kosten für Flugticket und Paß und schließlich der Preis für eine Scheinehe, die die Thailänderinnen mit Pennern aus dem Hannoveraner Bahnhofsmilieu schließen mußten, damit sie eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bekamen. Insgesamt sollen dem Ehepaar A. - so die Anklageschrift - pro Thailänderin Kosten von 7.000 DM entstanden sein. In Rechnung gestellt wurden den Frauen jedoch bis zu 17.000 DM. Diese Schulden mußten sie zuerst im Betrieb des Ehepaars A. „abarbeiten“, bevor sie selbst Geld bekamen.

„Ich hatte Angst“, immer leiser und zögernder spricht Buppha S. weiter. Wo ihr Paß und ihr Ticket geblieben seien, habe sie nicht gewußt. Beides sei ihr schon am Frankfurter Flughafen „von einem Mann, der mich abgeholt hat“, abgenommen worden.

„Wie lief das ab, als sie zum erstenmal mit einem Mann auf das Zimmer gingen?“ Richter Gerlach schiebt sich bei dieser Frage verlegen auf seinem Sessel hin und her. Die Zeugin antwortet nicht. „Ich kann verstehen, daß sie sich schämt“ spricht der Richter, jetzt wieder ruhig, in den großen Saal. Er schlägt vor, eine Pause zu machen oder die Öffentlichkeit auszuschließen. „Nein, nein“, kommt da sofort ihre Antwort, „ich möchte doch so schnell wie möglich wieder nach Hause.“ Sie deutet mit der Hand in Richtung des Angeklagten: „Der hat mir eine kurze Hose und ein Hemdchen besorgt, das mußte ich anziehen. Er sagte, ich müßte das jetzt machen.“ Beim ersten Mann weigerte sie sich, Walter A. ließ ihr das noch durchgehen. Der zweite Mann aber, als sie sich wieder weigerte, vergewaltigte sie. Da war ihr Widerstand gebrochen.

Die zweite Thailänderin, die vor dem Hildesheimer Landgericht als Zeugin aussagt, hat niemals als Prostituierte gearbeitet. Sie ist hier, um über ihre jüngste Schwester Kanita zu sprechen, die an das Ehepaar A. verkauft wurde und kurz nach ihrer Abschiebung nach Bangkok „verschwand“. Nipa W., Beamtin im thailändischen Staatsdienst, berichtet von den Briefen, die Kanita ihr aus Deutschland schrieb. „Sie ist gezwungen worden, mit sieben bis acht Männern pro Abend aufs Zimmer zu gehen. Wenn sie nicht wollte, wurde sie von Zuhältern zusammengeschlagen.“ Walter A., als er das hört, setzt ein breites Grinsen auf. Ein Grinsen, das ihm etwas zu breit und demonstrativ gerät, um überlegen zu wirken. „Mit einer Peitsche ist sie geschlagen worden“, führt Nipa W. weiter aus. „Sie versuchte bei der thailändischen Botschaft in Deutschland Hilfe zu bekommen. Aber erfolglos, da sie ständig bewacht wurde.“

Abgeschoben nach einer Polizeirazzia im Januar 88 habe die jüngere Schwester eine Woche lang bei ihr zu Hause gewohnt. „Ich merkte, daß sie Angst hatte.“ Anfangs habe Kanita überhaupt nichts erzählen wollen. Erst nachdem sie sie immer wieder dazu aufforderte, habe Kanita einige Details erzählt. „Ich hatte jedoch das Gefühl, daß Kanita mir etwas verschwiegen hat. Sie wollte mich nicht beunruhigen.“

Nach einer Woche sei Kanita nach Bangkok gefahren, um deutsche Mark in thailändische Baht einzutauschen und um eine Bekannte, die ebenfalls abgeschoben worden war, zu treffen. Sie kam nicht mehr zurück. Voller Sorge fuhr die ältere Schwester nach Bangkok, um sie zu suchen. Dort traf sie schließlich den Schlepper. „Er sagte: Wenn Du Kanita triffst, sag ihr, daß sie den Leuten keine Schwierigkeiten machen soll, sonst hat sie nicht mehr lange zu leben. Sie ist die wichtigste Zeugin.“

Nipa W. traf ihre Schwester Kanita nie wieder. Sie blieb verschwunden - lebendig oder tot - im Dschungel der Menschenhändler.