FMLN startet diplomatische Offensive

Die salvadorianische Guerilla präsentiert bei den Verhandlungen in Mexiko City ein neues Friedensangebot / Zum ersten Mal besteht sie nicht mehr auf einer Regierungsbeteiligung / Die rechtsextreme Arena-Regierung reagiert mit Verzögerungstaktik  ■  Aus Mexiko-Stadt Leo Gabriel

Wenn es bis zum 15. November gelingen sollte, in El Salvador einen Waffenstillstand zu vereinbaren, ist die Nationale Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) bereit, als ersten Schritt für ihre Wiedereingliederung in die zivile Gesellschaft eine politische Partei zu gründen, in die sämtliche Führungskader und Aktivisten der Guerilla integriert würden. Dies ist der Kern des Angebots, das die FMLN am Mittwoch zu Beginn des auf zwei Tage angesetzten Dialogs mit der salvadorianischen Regierung der Weltpresse vorlegte. Im Unterschied zu den früheren Vorschlägen bestehen die Aufständischen zum ersten Mal nicht mehr auf einer Regierungsbeteiligung und haben zudem auch ihre Forderung nach Integration von regulärer und Guerilla-Armee fallengelassen.

Die FMLN schlägt einen Friedensprozeß in zwei Etappen vor. In einer ersten Periode, die am 15. November, also in genau zwei Monaten, mit einer vorläufigen Waffenruhe besiegelt werden soll, soll

a) die Reform des Justizsystems eingeleitet und von Regierung und Oppositionsparteien gemeinsam ein Oberstes Gericht und ein Generalstaatsanwalt ernannt werden;

b) ein Maßnahmenpaket vereinbart werden, das das Ende jeglicher Repression und volle demokratische Freiheiten garantiert;

c) eine Vereinbarung getroffen werden, die einen gerechten Prozeß gegen die Schuldigen am Mord des Erzbischofs Monsenor Romero im Frühling 1980 und gegen die Todesschwadronen ermöglicht;

d) eine Vereinbarung über die Entschärfung des politischen und gesellschaftlichen Konflikts getroffen werden ausgehend von der Verwirklichung der von der christdemokratischen Regierung Duarte angeregten Reformen. Das hieße: Keine weitere Rückgabe der von der Agrarreform betroffenen Ländereien an ihre alten Besitzer und Weiterführung der Agrarreform, wie sie von der Regierung Duarte ursprünglich beschlossen wurde;

e) eine Vereinbarung über die Säuberung und Professionalisierung der Armee getroffen werden;

f) die Regierung zusichern, die auszuhandelnden Verfassungsreformen dem Parlament zur Verabschiedung vorzulegen;

g) eine Vorverlegung der auf 1991 angesetzten Gemeinde- und Parlamentswahlen vereinbart werden;

h) der Waffenstillstand über militärische Garantien beider Seiten sichergestellt werden.

Falls dies alles gelingt, soll ab 15.November Waffenstillstand herrschen. In einer zweiten Etappe, die spätestens am 31. Januar mit der endgültigen Einstellung des bewaffneten Kampfes und der vollständigen Integration der Rebellen ins zivile Leben enden soll, fordert die Guerilla dann die Reform des Wahlgesetzes und eine graduelle Reduzierung der Armee auf das für die Landesverteidigung notwendige Mindestmaß.

Die Regierungsdelegation, die sich aus dem Präsidentschaftsminister Juan Antonio Martinez Varela, dem Justizminister Oscar Santamaria sowie drei rechten Intellektuellen zusammensetzt, schien vom Vorschlag der Guerilla, den die beiden FMLN-Kommandanten Joaquin Villalobos und Shafik Handal vortrugen, überrumpelt und versuchte den ganzen ersten Tag lang, mit Formfragen Zeit zu schinden. Offenbar hatte der rechtsextreme Präsident Alfredo Cristiani ihr auch nicht die Kompetenz eingeräumt, auf der von der Guerilla präsentierten Ebene der Konkretion zu verhandeln. Auch das vorgeschlagene Tempo will die Regierung offenbar nicht mitmachen. Ihr Plan, dessen Einzelheiten bei Redaktionsschluß am Donnerstag noch nicht bekannt waren, sieht alle zwei Monate zwei Tage Verhandlungen vor, nach Mexiko in Costa Rica, Venezuela und Guatemala.

„Entweder nimmt die Regierung unseren Friedensvorschlag an, oder die gesamte Nation wird um seine Verwirklichung auf allen Ebenen kämpfen“, kommentierte der Guerillakommandant Villalobos am Ende des ersten Verhandlungstages die Verzögerungstaktik der Regierung.

Für heute kündigte ein aus über 70 Organisationen bestehendes salvadorianisches Friedenskomitee eine Großdemonstration auf den Straßen San Salvadors an. Aber auch der von der Guerilla für die nächsten zehn Tage ausgerufene einseitige Waffenstillstand wird die Ernsthaftigkeit der Friedensbeteuerungen der salvadorianischen Streitkräfte auf die Probe stellen.