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Ohnmächtige Wut bei coop

Beschäftigte fluchen auf Ex-coop-Chef Otto und verstehen ansonsten die Welt nicht mehr  ■  Aus Bremen H. Bruns-Kösters

Im Jan-Reiners-Einkaufszentrum im Bremer Stadtteil Findorff ist eigentlich alles wie immer. Beim Schlachter steht eine kleine, beim Bäcker nebenan eine große Schlange, und die Kassiererin hat gerade mal Zeit für ein: „Ach, was soll ich Ihnen sagen. Irgendwie muß es ja weitergehen. Die Banken können uns doch nicht einfach pleite gehen lassen.“

Das können sie doch, die Gläubigerbanken der coop. Zumindest ist die Wahrscheinlichkeit seit dem Vergleichsantrag von Mittwoch morgen wesentlich gestiegen. Und seit dem schwarzen Mittwoch ist, wie Betriebsrat Wilhelm Scheithauer zu berichten weiß, die Stimmung der Beschäftigten auf dem Nullpunkt. „Wir hängen absolut in der Luft. Die Banken haben uns voll am Haken, und daß die zuallerletzt an uns Beschäftigte denken, das ist ja klar.“ 2.000 Beschäftigte hat die coop-Tochter Comet allein in Bremen und Umgebung. Und die Ladenkette war noch bis vor Jahresfrist auf Expansionskurs. Kleine Märkte wurden vergrößert, neue eingerichtet, so daß in Bremen in jedem Stadtteil mindestens ein Comet-Markt steht.

So auch im Bremer Szene-Stadtteil Ostertor: „Der Laden läuft hervorragend. Wir führen immer nur ab“, sagt der dortige Marktleiter Manfred Spreen. Und der Laden ist keine Ausnahme. Für sich genommen sind die Comet-Läden in Bremen kerngesund. „Wir wurden einfach in den Sog mit reingezogen“, sagt Spreen, der selbst nicht weiß, ob die Regale auch in der nächsten Woche noch gefüllt sein werden. „Man kann nichts greifen, auch wir haben keine Informationen.“

Die Meldung vom Vergleichsantrag hat mehrere Lieferanten so verunsichert, daß sie ihre vereinbarten Warenanlieferungen absagten. Immerhin: Nachdem den einzelnen Läden inzwischen von der Zentrale erlaubt wurde, die Rechnungen direkt zu bezahlen, sind die meisten Lieferanten am Donnerstag wieder erschienen. Der Grossist hat wieder Zeitschriften geliefert, und „alle Frischlieferanten waren heute wieder da“, weiß Betriebsrat Scheithauer von der Geschäftsleitung. Die darf selbst nicht mit der Presse reden, denn die Zentrale in Frankfurt hat einen Maulkorb verhängt.

Doch was Scheithauer zu berichten weiß, könnte auch der Bremer coop-Chef Koop kaum besser formulieren. „Wir in Bremen sind kerngesund. Wir haben bundesweit den besten Profit gemacht und haben die besten Läden.“ Deshalb, so weiß Scheithauer aus zahlreichen Gesprächen mit MitarbeiterInnen und von Betriebsversammlungen zu berichten, „deshalb können die Kollegen es auch einfach nicht glauben.“ Und da können dann weder Betriebsrat noch Geschäftsleitung weiterhelfen: „Wir können es Ihnen auch nicht erklären. Wir haben ja keine Schuldigen.“ Nur einen, und der ist weit weg: Auf der Betriebsversammlung, erzählt Scheithauer, „da haben wir den Otto zerpflückt. Aber das war's dann. Was sollen wir denn auch machen?“

Bundesweit fürchten die deprimierten Mitarbeiter der coop vor allem um ihre Arbeitsplätze, obwohl ihnen die Frankfurter Konzernzentrale die Zahlung der September -Gehälter schon am Mittwoch zugesichert hatte. In Kamen protestierten 500 Beschäftigte des Zentrallagers für Gebrauchsgüter mit einem Demonstrationszug durch die Stadt gegen die mangelhafte Information der Belegschaft über die schweren finanziellen Probleme des Unternehmens. In Hamburg registrierte die Gewerkschaft HBV an einem eigens eingerichteten Beratungstelefon bis gestern über 100 Anrufe verunsicherter coop-Mitarbeiter.

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