Einst gegen Allende - heute gegen Pinochet

Patricio Aylwin, Präsidentschaftskandidat der chilenischen Opposition, kommt in die Bundesrepublik  ■ P O R T R A I T

Santiago (taz) - Eine lange politische Karriere liegt hinter dem heute in die BRD kommenden, 70jährigen Präsidentschaftskandidaten der chilenischen Opposition, Patricio Aylwin. Daß er im Dezember diesen Jahres allen Prognosen nach von mehr als 50 Prozent gewählt werden wird, ist in Anbetracht seiner Biographie nicht selbstverständlich.

Als Sohn eines ehemaligen Präsidenten des Obersten Gerichtshofes entschied er sich nach dem Studium „Anwalt für die Gerechtigkeit“ zu werden. Sein „Sinn für Gerechtigkeit“, den er auch heute immer betont, war es wohl, der ihn zunächst zögern ließ, ob er den Sozialisten oder der „Felange Nacional“ (der späteren christdemokratischen Partei) beitreten sollte. Schließlich siegte sein Katholizismus, Aylwin wurde 1945 Mitglied der Felange, und schon 1951 übernahm er deren Präsidentschaft.

Als es in den sechziger Jahren zu Auseinandersetzungen innerhalb der Christdemokraten kam, sagte er dem späteren chilenischen Präsidenten Eduardo Frei seine bedingungslose Unterstützung zu. Die Kritiker Freis, die den Weg zu einem Staat des „sozialistischen Allgemeinwohls“ einschlagen wollten, statt sich mit „rechten Wirtschaftlern an einen Tisch zu setzen, um über die Zukunft Chiles zu diskutieren“, bezeichnete Aylwin als „infantil und geistlos“. Im Mai 1973 übernahm er die Präsidentschaft der christdemokratischen Partei (PDC). Dem damals seit drei Jahren regierenden Präsidenten Salvador Allende warf er vor, verantwortungslos den Staat zu lenken, indem er ein totalitäres Regime aufbaue.

In der Nacht des Militärputsches am 11.September 1973 verfaßte Aylwin eine offizielle Erklärung der PDC, in der es hieß, die chilenische Militärjunta wolle „die Gesellschaft normalisieren, Frieden bringen und eine Einheit der Chilenen aufbauen“. Elf Tage später erklärte Aylwin vor ausländischen Journalisten auf die Frage nach den politischen Gefangenen, daß es zwar „in verschiedenen Bereichen Gefangene gegeben habe, aber diejenigen, die nichts gemacht haben, könnten nicht aufgrund ihrer Ideen festgenommen werden“. Er glaubte, daß die Militärs die Macht für einige Monate übernehmen und Ordnung im Land herstellen müßten.

Aylwin selbst zog sich zwei Jahre später vorübergehend aus dem aktiven politischen Leben zurück, nachdem er erkannt hatte, daß diese „Periode des Militärs“ wohl von längerer Dauer sein werde. Neben seiner weiteren Tätigkeit als Anwalt gründete er mit Kollegen die „Gruppe der 24“, die eine Alternative zu den staatlichen Rechtsberatern darstellen wollte.

Auf die Frage nach seiner Funktion während des Putsches vor 16 Jahren reagiert Aylwin heute sehr vorsichtig. Er habe nicht gewußt, daß es soweit kommen werde. Er sei bestürzt gewesen, als er von der Bombardierung des Präsidentschaftspalastes und der Ermordung Allendes gehört habe.

Mit den Menschenrechtsverletzungen habe er sich erstmals direkt auseinandergesetzt, als Betroffene in seine Kanzlei gekommen seien. Als zukünftiger Präsident will er sich für die Demokratisierung des Landes, die Verwirklichung grundlegendster Menschenrechte und eine soziale Marktwirtschaft einsetzen. Dabei werde ihm, wie er so oft betont, Gott den Weg weisen. Neben dem Allmächtigen werden da auch noch andere ein Wörtchen mitreden.

Anke Bruns