„Immer noch wichtig, Geschichten zu erzählen“

■ Ein Filmschüler der kubanischen „Filmschule der drei Welten“ war zu Gast bei den Bremer „Tagen des unabhängigen Films“

Andres Marroquin ist ein besonderer Gast. Schließlich ist es das erste Mal gelungen, einen Filmschüler der Filmschule der drei Welten in Kuba, die bisher nur durch Fernando Birri oder G.G.Marquez im Ausland bekannt wurde, in die BRD einzuladen. Die Filmschule liegt ca. 40 km von Havanna entfernt, in „San Antonio de los Banos“, 1986 gegründet von Fernando Birri, dem Protagonisten des Filmschaffens in der „Dritten Welt“. In der Filmschule leben ca. 53 Studenten aus 22 Ländern: aus Lateinamerika und der Karibik, Afrika und Asien. Andres Marroquin ist 29 Jahre alt und stammt aus Kolumbien.

taz: Wie ist das Leben an der Schule?

Andres Marroquin: Es ist eine Art Mikrowelt. Alles konzentriert sich total aufs Filmemachen. Eine der wichtigsten Sachen ist das Lernen im Alltag, die Beziehung zu den andern Mitstudenten und

Lehrern, weil das ganz unterschiedliche Leute aus verschiedenen Kontinenten sind.

Was für eine Bedeutung hat die Filmschule in Lateinamerika und wie ist sie entstanden?

Zuerst ist eine Stiftung ins Leben gerufen worden, die Stiftung des lateinamerikanischen Films, die von Gabriel Garcia Marquez präsidiert wird. Danach wurde die Schule gegründet. Das Besondere ist: Es gibt nur sehr wenige Filmschulen in Lateinamerika, und die meisten sind nur für wenig Leute und in kleinem Umfang. Man wollte mit dieser Schule im Prinzip einen qualitativen Schritt tun, der sich vielleicht erst für die nächste Generation auswirken wird. Die Filmschule hat ihren Sitz in Kuba, weil die Regierung in Kuba sie unterstützt, was die Gebäude und die Infrastruktur betrifft.

Wie wird die Schule finanziert?

Hauptsächlich mit Spenden, die aus dem Ausland kommen, meist

materiell mit Geräten und sowas, und dann läßt Gabriel Garcia Marquez Teile von seinen Rechten, die er an seinen Büchern hat, in die Stiftung einfließen, auch einen Teil seiner Nobelpreisgelder.

Was sind Eure Filmthemen

Die Möglichkeiten sind natürlich begrenzt, thematisch, aber auch räumlich, auf Havanna und Kuba und auf die Schule. Das zweite ist, daß Kuba ein Land ist, das eine Revolution gemacht hat, und die meisten der Studenten kommen aus kapital-lateinamerikanischen Ländern. Und für die ist das ein großer Unterschied. Am Anfang hatte man erwartet, weil die Schule in Kuba ist, alle Studenten seien vielleicht kritisch, oder alle machen revolutionäre Filme. Aber jeder hat seine eigene Visionen und Perspektiven.

Was machst Du für Filme?

Ich mache Dokumentarfilme, also ich frage z.B. Leute auf der Straße: Was denken sie, was passiert, wenn Fidel nicht mehr da ist?

Was antworten die Leute?

Die meisten sagen, daß nichts passieren wird, die Revolution wird trotzdem weitergehen, weil das nicht nur von einer Person abhängt. Ich glaube, daß das tatsächlich so sein wird. Andere antworten auch: Wenn Fidel nicht mehr da ist, bricht alles zusammen. Aber das Wichtigste daran

ist immer noch, daß man so auf die Straße gehen und die Leute Sachen fragen kann, worüber normalerweise nicht gesprochen wird, da sind immer noch Tabuthemen.

Bist Du eine Art Auserwählter, daß Du nach Bremen „durftest“?

Die Studenten suchen den aus, der ins Ausland geht. Es hängt davon ab, ob Filme, die dieser Student gemacht hat, schon gezeigt wor

den sind und das Publikum Interesse dafür gezeigt hat.

Kannst du Eure Filme mit denen vergleichen, die Du in Bremen gesehen hast?

Ich habe mehrere avantgardistische Kurzfilme gesehen. Die Unterschiede sind unheimlich groß. Für uns in Lateinamerika ist es immer noch wichtig, Geschichten zu erzählen. Wir sind ein Kontinent von Schriftstellern, die Er

zähler sind. Ich habe hier gemerkt, daß es ein viel stärkeres Interesse an der Technik gibt, also eine Art Liebe für diese Metasprache. Ich finde, daß es manchmal diese Vorliebe für technische Effekte macht, daß die Geschichte verloren geht. Und oft versteht man nicht, was der Filmemacher eigentlich erzählen wollte. Fragen: clak