„Es war alles so nett im Windschatten“

■ Interview mit dem Planungsreferenten des Bausenators, Günter Fuderholz / Änderungen in der Wohnungsbauplanung brauchen Zeit - aber die Wohnungsnot ist jetzt da / Containersiedlungen wie in Ankara und Dachgeschosse für Yuppies

taz: Bausenator Nagel jongliert mit immer neuen Zahlen für den Wohnungsbau. Mal sollen es 40.000 Wohnungen sein, mal 35.000. Bei solchen Schwankungen fragt man sich, ob das alles ernstzunehmen ist.

Fuderholz: Die Schwankungen sind gar nicht so groß. Das Hauptproblem ist doch, daß der Bedarf viel größer ist, als wir bei Mobilisierung aller Kräfte bewältigen können.

Warum nennen Sie dann ständig diese konkreten Planzahlen?

Wir halten es für notwendig, im Haushalt 1990 noch zusätzliche Mittel für ein neues Dachgeschoßprogramm zu bekommen, dafür brauchen wir Zahlen. Das Sonderprogramm des Bundes mit 1.000 Dachwohnungen für dieses und nächstes Jahr wird schon 1989 ausgeschöpft. Wir könnten aber für 1990 noch 1.250 Dachwohnungen bewilligen.

Die derzeitigen Dachgeschoßmieten sind fast alle nicht gebunden.

Das neue Dachgeschoßprogramm soll billiger werden - wir zahlen weniger als 50.000 Mark pro Wohnung - und die Mieten sollen gebunden werden. Aber wenn wir das totale Belegungsrecht der Wohnungsämter und sehr billige Mieten einführen, dann werden wir die tausend Wohnungen nächsten Jahr nicht haben, deshalb müssen wir einen Mittelweg finden.

Wenn es Ihnen um Dachgeschosse geht, warum kündigen Sie an, daß womöglich die Felder am Stadtrand bebaut werden müssen?

Von den Feldern am Stadtrand redet ja gar keiner. Wir bemühen uns ja intensiv, nicht auf die Freiflächen zu gehen, sondern die Reste zu mobilisieren, die überall noch da sind.

Dafür gibt es doch bereits zahllose Vorschläge zum Beispiel von der Umweltverwaltung: Man könnte die Flächen der Verwaltung des ehemaligen Reichsbahnvermögens, der VdeR, bebauen. Man könnte beim Straßenrückbau eine vierstellige Wohnungszahl gewinnen, und genausoviele dadurch, daß man Baulücken schließt und Großsiedlungen verdichtet.

Ja, könnte man, aber das dauert. Bevor ich eine Straße überbauen kann, muß ich Leitungen verlegen und sie entwidmen. Das dauert Jahre und das kostet ein Schweinegeld. Auf den berühmten VdeR-Flächen sind überall Kleingärten oder Gewerbebetriebe. Wer glaubt, er kriegt da schnell was rauf, über den kann ich mich nur wundern. Und die Nachverdichtung von Großsiedlungen...

...Umweltstaatssekretär Groth spricht von 16.000 Wohnungen...

...Also ich weiß nicht, wo die Zahl herkommt. Zum Beispiel bei der Paul-Hertz-Siedlung erbringt die eigentliche Nachverdichtung 120 bis 150 Wohnungen. Das hieße, wir bräuchten 100 derartiger Projekte, um auf eine Zahl von 15.000 oder 16.000 zu kommen.

Schrei nach Grünflächen

Wenn Sie Neubausiedlungen auf größere, jetzt nicht genutzte Flächen setzen, verstreichen auch drei oder vier Jahre, bis die fertig sind.

Der Begriff „Siedlungen auf Freiflächen“ ist bei uns nie gefallen. Aber bauen dauert immer lange.

Bausenator Nagel würde wohl gerne Wohnungen auf ausgewiesenen Gewerbeflächen bauen. Löst das nicht bloß Geschiebe aus? Der Wirtschaftssenator wird dann nach den Grünflächen schreien...

Das ist das Problem des Flächennutzungsplans: Das ist ein Plan für zwei Millionen Einwohner. Auf Wachstum ist er nicht angelegt. Und wir haben bereits jetzt weit über zwei Millionen Einwohner. Und wenn die Prognosen richtig sind, haben wir bald 2,3 Millionen.

Woher wollen Sie denn wissen, ob die gegenwärtige Bevölkerungsentwicklung anhält?

Ich habe Zahlen über die Bevölkerungsentwicklung Berlins von 1950 bis heute von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und vom Statistischen Landesamt. Dieses Jahr werden hier 54.500 Leute mehr wohnen als 1988, bis 1995 werden unterm Strich um die 40.000 Leute im Jahr zuziehen. In keiner Phase der Westberliner Geschichte ist die Bevölkerung so angestiegen und das seit 1985.

Sie bewilligten bisher viele Wohnungen im Dritten Förderweg und in Dachgeschossen mit Mieten bis zu 15 Mark kalt pro Quadratmeter kosten, aber nur 722 Sozialwohnungen. Hilft das den Hauptbetroffenen der Wohnungsnot?

Bis Ende August waren im Dritten Förderungsweg 845 Wohnungen bewilligt, außerdem 268 Dachgeschoßwohnungen, also nicht sehr viel mehr als Sozialwohnungen. Das Förderprogramm für dieses Jahr sieht 3.000 Sozialwohnungen vor, und wir denken auch, daß wir das noch schaffen. Im Dritten Weg könnten wir noch viel mehr bewilligen als die 1.200 geplanten Wohnungen, aber das wollen wir nicht.

Laut Koalitionsvereinbarung sollte der Dritte Weg wegen seinen hohen Mieten ganz gestrichen werden.

Aber das hieße, daß diese Wohnungen gar nicht gebaut würden, an ihrer Stelle aber auch nicht sofort Sozialwohnungen entstehen würden, sondern gar keine. Angesichts der Wohnungsnot ist das unserer Meinung nach nicht vertretbar und wäre politischer Selbstmord.

Gibt es denn soviele Menschen, die bis 15 Mark Miete pro Quadratmeter zahlen können?

Die Nachfrage ist riesig, auch so teure Wohnungen stehen nicht leer.

Der Dritte Förderweg, das sind staatliche Zuschüsse und trotzdem unbegrenzt hohe Mieten. Und weil es den gibt, haben Bauherren möglicherweise keine Lust, im Sozialwohnungsbau zu investieren, der ja finanziell nicht so attraktiv ist.

Das ist komplizierter. Diese Zusammenhänge gibt es zwar, aber wenn Sie die Bauherren vom Dritten Weg abhalten, dauert das eben zwei Jahre länger, bis sie in den Sozialwohnungsbau ausweichen.

Wenn man die Bewilligungszahlen mit denen des letzten Jahres vergleicht, hat man nicht den Eindruck, eines großen Umschwungs...

Das, was wir jetzt bewilligen, ist ja vor Jahren geplant worden, übers Knie sind solch große Veränderungen nicht zu brechen.

Wohnsteuer für Yuppies

Trotz der Wohnungsnot beträgt die durchschnittliche Wohnfläche pro Person knapp 40 Quadratmeter, mehr als in der BRD, obwohl Berlin eine relativ arme Stadt ist. Könnte man die Leute nicht dazu bringen, zusammenzurücken, zum Beispiel mit einer Wohnflächensteuer?

In Berlin gibt es mehr Ein-Personen-Haushalte als im Bundesgebiet und deren Wohnfläche pro Kopf ist generell höher.

Die Ein-Personen-Haushalte beanspruchen immer mehr Platz. Der Trend, so hat es „Miet Tips“ ermittelt, geht zur Zwei und Drei-Zimmer-Wohnung. Ist das noch vertretbar?

Ich glaube, da würden sich viele Wohngemeinschaften schwer aufregen, wenn man die Bindung „Ein Kopf - Ein Raum“ einführen würde, wie bei Sozialwohnungen.

Warum denn keine Wohnflächensteuer für Yuppies, die allein auf 100 Quadratmetern hausen?

Wie soll die denn erhoben werden? Im nächsten Jahr soll eine Wohnungsstichprobe stattfinden. Und da hat die AL -Abgeordnete Schraut doch schon gesagt, das sei übelste Schnüffelei. Soll man jetzt für eine Wohnflächensteuer die Melderegister mit einem Wohnflächenkataster gegenchecken? Soll da eine Wohnflächenbehörde vorbeikommen und gucken, wieviele Betten auf wievielen Quadratmetern stehen? Das ist doch die totale Erfassung.

Baupolitiker der SPD nennen hinter vorgehaltener Hand noch ganz andere Ideen, etwa Zweitwohnungen zu beschlagnahmen.

Ich fände es ja gut, wenn 500 Wohnungen beschlagnahmt würden. Aber dann müßten sie erstmal gefunden werden. Ich weiß gar nicht, wieviele Zweitwohnungen es gibt. Da müßte man wohl eine Wohnungsstichprobe machen...

Vielleicht kann der Senat ja den Tausch von Wohnungen erleichtern, indem er einen Pool von Wohnungen bildet, damit den Mietern übergroßer Wohnungen preiswerte Ersatzwohnungen angeboten werden können.

Aber die großen Altbauwohnungen gehören meist privaten Gesellschaften, nicht den städtischen.

Das läßt sich doch lösen, etwa mit Prämien an Vermieter. Das gibt es sogar schon. Nur hat man den Eindruck, daß das nicht sehr gut läuft.

Ein paar hundert Fälle pro Jahr hat es immer gegeben. Aber diese Oma in den sechs Zimmern kommt, glaube ich, nicht so häufig vor.

Also lieber auf die Freiflächen?

Das ist alles zu kurz gedacht. Was gegenwärtig läuft, ist doch, daß per Notstand neue Wohngebiete entstehen - in Form von Containersiedlungen. Da fragt kein Mensch nach Stadtplanung. In Wirklichkeit sind das Gecekondus, illegale Siedlungen, die „über Nacht entstanden“ sind, so wie in Ankara. Bei uns werden die Container jetzt auch über Nacht überall aufgestellt und zwar derartig erschreckend viele, daß ich gar nicht verstehe, warum man sich über den Wohnungsbau aufregt.

Vielleicht sind die Container in ein oder zwei Jahren wieder weg.

Das denken viele, aber ich glaube das nicht. Zur Zeit passiert eine Trendwende für West-Berlin. In den Köpfen findet die aber nicht statt. 80 Prozent aller Beteiligten ziehen sich das Problem nicht an. Die sagen dann: Überall bauen, aber bei mir nicht. Man hat sich so in dieses Nischendasein eingeigelt: Es war alles so nett im Windschatten. Und auf einmal ist man im Brennpunkt und alles wird wieder anders.

Herr Fuderholz, möchten Sie, daß die Mauer morgen fällt?

Dann macht sich Berlin auf den Weg zur sieben Millionen -Stadt und die durchschnittliche Wohnfläche pro Kopf würde dramatisch absinken. Aber dann haben wir ja auch Stadtplaner aus Ost-Berlin.

Interview: Schweitzer/Tillack