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Zwischen juristischen Fußangeln

■ Der Mainzer Umweltminister Beth läßt die Anhörung zum AKW Mülheim-Kärlich wiederholen

Eines kann man Alfred Beth nicht vorhalten: mangelndes Traditionsbewußtsein. Der Einsatz privater Hilfssheriffs gegen Einwender, Rechtsanwälte und Parlamentarier, die erstmalige Einführung stammheimähnlicher Leibesvisitationen bei einem atomrechtlichen Erörterungstermin, schließlich der als reguläre Beendigung deklarierte Abbruch der Anhörung, dies alles schließt nahtlos an an jene Mischung aus Unbekümmertheit in der Sache und Ignoranz im Umgang mit dem Recht, mit der Mainzer Landesregierungen das Genehmigungsverfahren des einzigen Atomkraftwerks im Lande seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten begleiten. Der Unterschied zu jenen Frühzeiten, als ein Mann namens Kohl in Mainz Ministerpräsident war oder später einer namens Töpfer Umweltminister, liegt allein darin, daß heute die Quittungen schneller präsentiert werden.

Zwischen den Winkelzügen, mit denen sich Landesregierung und Betreiber 1975 um eine weitere Bewertungs- und Anhörungsrunde herumdrücken wollten, obwohl sie das Baukonzept wegen der offensichtlichen Erdbebengefährdung völlig ändern mußten, und dem Stillegungs-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom vergangenen Jahr lagen dreizehn Jahre. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz brauchte Ende August gerade noch zwei Tage, um die Praktiken beim Erörterungstermin für rechtswidrig zu erklären.

Mit seiner gestrigen Entscheidung hat Beth faktisch eingestanden, daß die Landesregierung bei der Anhörung in Mülheim erneut gegen Recht und Gesetz verstoßen hat. Warum ein solches Eingeständnis den verantwortlichen Minister dazu qualifizieren sollte, dieses Amt auch weiterhin zu bekleiden, weiß der Himmel.

Immerhin dokumentiert Beth seine ungebrochene Hoffnung, das Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich doch noch mit einer gerichtsfesten Genehmigung ausstatten zu können. Ob dies gelingt, ist fraglicher denn je. Denn mit der geplanten Neugenehmigung bewegt sich Beth auf atomrechtliches Neuland, das übersät ist mit juristischen Fußangeln. Eine erste Teilgenehmigung, auf der einstmals alle weiteren Genehmigungsschritte aufbauten, soll in Teilen neu geschrieben werden. Niemand - weder der Betreiberkonzern RWE noch das Ministerium - ist auch nur auf die Idee gekommen, der Forderung des Bundesverwaltungsgerichts nach neuen Untersuchungen des AKW-Standorts nachzukommen. Eine neu geschriebene Genehmigung allein schützt den Reaktor nicht vor Erdbeben.

Gerd Rosenkranz

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