Urbane Dorfversammlung

■ Verkehrsdebatte im Viertel: Alle für eine Großstadt ohne Lärm und Gestank

Daß sie auch ganz anders können, bewiesen fast 200 BewohnerInnen des Bremer „Räte„-Viertels (Studienräte, Regierungsräte, Beiräte...) zwischen Osterdeich und Bismarckstraße am Mittwoch abend in der Grundschulaula an der Lessingstraße. „Ich komm‘ mir vor wie in einer Dorfversammlung“, stellte ein älterer Herr mit professoral zurückgeworfenem Grauhaar nach gut

zwei Stunden Hin und Her - Debattierei um den Verkehr im Viertel fest (vgl taz vom 14.9. „Mehr als Schilderwald und Pfahlpflanzprogramm“).

„Das ist doch grad das Schöne“, rief ihm die lachende Menge wie aus einem Mund entgegen. Womit das urbane Dorf-Volk in Sachen Verkehrskonzept das seinige getan hatte: Alle haben einmal ihren Senf dazugegeben.

Zum Beispiel so: „Ins Viertel darf kein Auto mehr rein. Wir fordern endlich 150 Fahrrad-Parkplätze!“ Oder diese Variante: „Die Straßenbahnen, die hier durchfahren, sind doch halbleer. Ich bin für ein Sammeltaxi-System, das gibts überall, zum Beispiel in Moskau und in Istanbul!“ Da lacht das Herz des Möchtegern-Großstädters mit Kleingarten rund ums Bremer Haus. Nur fünf Herren in BSAG-Uniform waren ganz und gar nicht damiteinverstanden: „Ruftaxi o.k., aber nur, wenn Sie dann unsere arbeitslosen Kollegen einstellen“, schlug einer von ihnen vor, der sich freimütig als Betriebsrat zu erkennen gab.

„Ich habe das Gefühl, daß ins Viertel Leute aus Schwachhausen, aus Syke und Diepholz kom

men, um genau in die Kneipe zu gehen, die sie vor ihrer eigenen Haustür nicht haben wollen“, faßte ein Beiratsmitglied seinen Verdacht zusammen, woher wohl die vielen kleinen Stinkeautos kommen, die tagein, nachtaus den Ostertorsteinweg und das Steintor auf und ab kutschieren. Nur wenn sie die einen mit dem Schlachtruf „Fußgängerzone“ verbannen wollten, hallte es von den anderen schon „Bewohnerinitiative Bismarckstraße“ zurück. Schließlich sucht sich der Motorisierte Individualverkehr (MIV, sprich: Mief) immer wieder seinen Weg.

„Wir haben das genau ausgerechnet“, behauptete forsch der Vertreter des Bausenators, Dr. Kahrs, „Bismarckstraße und Osterdeich verkraften den zusätzlichen Verkehr“. Doch da waren die, die den täglichen MIV (Mief) in der Nase haben, anderer Meinung: „Das gibt Zunder“, prophezeite einer von ihnen. Und auch die im Senatskonzept vorgesehenen zwei Parkhäuser im Viertel stießen nur im Prinzip auf Zustimmung der geneigten Volksversammlung. Konkret interessierte in erster Linie der Standort, denn wer will schon eine Parkhauseinfahrt vor der ei

genen Haustür. Doch an dioeser Stelle blieb Dr. Kahrs hart: „Wir verhandeln über einen Standort nördlich des Sielwalls und einen südlich“, war das Konkreteste, was ihm trotz wiederholter Nachfrage zu entlocken war.

Am Ende der Versammlung waren die Dorfbewohner so schlau wie zuvor: Alle möchten gerne ein autofreies Viertel, aber ihre eigene Blechkarosse selbstredend vor dem Hause parken dürfen. Alle möchten eine pulsierende Großstadt, aber bitte ohne Lärm, Gestank und Verkehr. Alle möchten gerne besssere Straßenbahnverbindungen, nur benutzen möchte diesen langsamsten aller Verkehre nahezu niemand. Faßte Haushaltswaren-Händler Caesar zusammen: „Wir sind für eine Mischzone, in der die Straßenbahn nicht behindert wird, weiterhin mit dem Auto eingekauft werden kann und genügend Parkplätze an den Straßenrändern zur Verfügung stehen.“ So einfach ist das.

Ase

P.S.: Ernsthaft soll der Viertel-Verkehr nun im nicht -öffentlichen Beiratsausschuß diskutiert werden. Gelegenheit zur Dorfversammlung gibts dann wieder am 23. und 24. Oktober in zwei öffentlichen Beiratssitzungen.