Richtiges und falsches Afrika

■ In einem „feministischen“ Reiseführerdurch den schwarzen Kontinent suchen die Autorinnen das „ursprüngliche“ Afrika / Buntes Allerlei ohne Analysen und Zusammenhänge präsentiert

Mein Afrika, dein Afrika, jeder Frau ihr Afrika! Nicht ein Afrika gibt's - es gibt derer reichlich. Nein, nicht wegen des kulturellen, geographischen, sozialen Reichtums dieses riesigen Kontinents, sondern weil jeder Frau aus dem Norden das ihre zusteht und überdies das Recht zu definieren, was das richtige und was das falsche Afrika ist.

Schließlich sind sie ja alle, wie die Herausgeberin im Vorwort ohne Wimpernzucken sagt, „in Afrika auf der Suche nach etwas, das sie hier nicht finden“. Reisen in die Dritte Welt als postmoderne Therapie für die, die Konsum, Wohlstand und Moderne bei uns satt und müde sind und „Lebendigkeit und Menschlichkeit“ auftanken wollen. Guten Willens, Afrika „nahe zu kommen“, sich „auf Neues und Ungewohntes einzulassen“, sind sie alle: die Frauen, die als Entwicklungshelferinnen jahrelang an einem Ort tätig waren, die, die sich in einen Afrikaner verliebt haben, die Afrodeutschen, die auf den Spuren ihrer Väter wandeln.

Die Reisenden lassen sich vom Bild des exotischen „ursprünglichen“, „urtümlichen“ Afrika leiten. Ihre Suche nach Afrika ist vor allem eine Reise in die eigenen Träume und Sehnsüchte, „in Michael Endes Phantasieland“. Reisebegleiter sind ordentliche Portionen von Erwartung, Naivität und Angst. Afrika wird unter ihrem Urlaubsblick zum Selbstbedienungsladen: Man nehme, was der eigenen Vorstellung entspricht, und schimpfe über das, was nicht hineinpaßt. Die Städte, die Umweltzerstörung - das ist für sie nicht das richtige, das eigentliche Afrika. Nur weg und hinein in „mein“ Afrika, das der „Palmen- und Bananenhaine“, der Trommeln, der „traditionellen Rundhütten“. Eine Autorin muß von Tansania bis Malawi reisen, um endlich den „Zauber Afrikas“ und die „urtümlichen Szenen“ wiederzufinden, wegen derer sie gekommen ist. Wirklich ein verflixt spröder Kontinent, dieses Afrika, mit wenig Anpassungsbereitschaft an unsere Vorstellungen.

Neben der und gegen die Oberflächlichkeit der Reiseerlebnisse und -eindrücke stehen die Erfahrungen und die Ehrlichkeit der Entwicklungshelferinnen. Häufig ausgezogen, um abseits der Reiserouten Großes zu tun, haben sie sich an der Härte des Alltags und an der anderen Kultur, die die Reisenden häufig so romantisch beschreiben, abgearbeitet. Raum für Träumereien bleibt ihnen wenig. Die Erfolge in der Arbeit fallen ihnen genauso wenig in den Schoß wie die Freundschaften, das Verständnis für die Kultur, die Nähe zu den Menschen, den Frauen. „Während ich noch redete, merkte ich, wie wenig meine Zuhörerinnen mich verstanden.“ Leben in und mit Afrika ist keine Idylle, sondern eine ständige Auseinandersetzung mit Rückschlägen und Glücksmomenten. Brillant und erschreckend zugleich, wie vor allem die Autorin Maria Baier D'Orazio die Abgründe des Übersetzens, des Verstehens und Mißverstehens, der Täuschungen und Trugschlüsse ausleuchtet.

Nicht ohne Schrecken lesen sich auch die Liebesbekenntnisse von Frauen, die die Faszination des anderen in der Beziehung zu einem Afrikaner ausleben und deren Anpassungsbereitschaft die Grenzen überschreitet, die sie sich sicherlich selbst in Europa setzen würden.

Was aus verschiedenen Perspektiven in diesem „feministischen Reise- und Kulturführer“ beschrieben wird, sind Ausschnitte Afrikas, gesehen meist mit einem subjektiven, oft sehnsuchtsgetragenen Blick. Warum er sich feministisch nennt, gehört wohl selbst zu den unergründbaren Rätseln Afrikas. Wer jedoch erwartet, daß die Frage nach afrikanischen Variationen des Patriarchats, der Solidarität, des Widerstands und auch der Mittäterschaft von Frauen die Beiträge durchzieht, ist falsch gewickelt.

Die Analyse ist nicht die Stärke dieses Buches, sondern die Begegnung, das Erlebnis. Die zahlreichen Kriege, die Eskalation der Gewalt, die Flüchtlingsströme, die politische Repression kommen nicht einmal am Rande vor. Es ist kein Mosaik, das sich zu einem Ganzen zusammenfügt und zum Beispiel dem afrikanischen Kulturenreichtum gerecht würde, es ist Aspektiererei, buntes Allerlei. Auch wenn das Buch nur „Einstimmungslektüre“ sein will, muß es stimmig sein. Doch unverzeihliche Unterlassungssünden paaren sich mit einem neuen Mythos, für den der Leitartikel von Annette Brauns das Strickmuster vorgibt: „Warum sind es vor allem die Frauen, die für diese besonderen Qualitäten Afrikas so empfänglich sind? Weil wir den Kontinent als unsere Seelenschwester erkennen. Weil jene Eigenschaften Frauen sehr viel vertrauter sind als Männern. Es sind die ganzheitlichen Fähigkeiten der Einfühlung und Einpassung ...“ - Ich jedenfalls habe nach einem Jahr Leben und Reisen in Afrika noch keine Seelenverwandtschaft mit diesem Kontinent entdeckt.

Trotz alledem: Bereichert haben sich (wie ich auch) alle Frauen an „ihrem“ Schwarzafrika, ob sie nun zu Auseinandersetzung und Konflikt bereit waren oder nicht, die, die ihre Mythen pflegen, und die, die sich ihre Illusionen nehmen lassen.

Christa Wichterich

Gabriele Mönnig (Hg.): Schwarzafrika der Frauen. Verlag Frauenoffensive, München 1988