„Widerstand ist eine verdammt anstrengende Sache“

■ Ein Gespräch mit BesetzerInnen der Kreuzberger Nostitzstraße 49 Über ein halbes Jahr Besetzung - in dem (fast) nichts passierte

Die Nostitzstraße 49 in Kreuzberg ist seit dem 8.März besetzt - und ist es bis heute geblieben. Für die rund 30 Leute dort - im Schnitt zwischen 20 und 25 Jahre alt - wird es langsam eng: Zum 1.Oktober müssen sie raus, denn der neue Eigentümer Schliffkowitz, der vom untergetauchten Alt -Eigentümer Schulz das Haus zwangersteigerte, will modernisieren. Ein zunächst vereinbartes Ersatzangebot im Hinterhaus der Jüterboger Straße 8 lehnen die Besetzer inzwischen ab: Diesem Vertragsangebot des Bausenators hätten sie nur unter Räumungsdruck zugestimmt, die Wohnungen dort seien viel zu klein, zu wenige und in miserablem Zustand. Die Vorderhausmieter der Jüterboger 8 sind zudem nicht begeistert über die neuen Nachbarn, aber auch die türkischen Bewohner der Nostitzstraße 49 fühlen sich so langsam genervt von ihren neuen Mitbewohnern, die schon mal etwas lauter sind. Unterstützt fühlen sich die BesetzerInnen kaum noch, jedenfalls nicht von AL oder Senat. Die Gesprächspartner legten Wert darauf, nicht für alle BesetzerInnen zu sprechen, und wollten auch nicht gerne beim Namen genannt werden.

taz: Mit welcher Idee seid ihr im März in dieses Haus gegangen?

R.: Die Besetzung ist aus Wohnungsnot entstanden. Wir wollten Wohnraum schaffen und auf das, was hier abgelaufen ist an Betrug und Spekulation, aufmerksam machen und versuchen, Druck auf die Gesetzgeber auszuüben, um die zu zwingen, ihre Gesetze zu ändern.

B.: Wenn du alleine lebst in deiner Ein-Zimmer-Wohnung, so total anonym, dann verdummst du mit der Zeit und kommst weg von der Menschlichkeit.

Habt ihr damit gerechnet, so lange drinzubleiben?

R.: Wir haben innerhalb von 24 Stunden mit einer Räumung gerechnet und haben uns auch verbarrikadiert.

Wart ihr alle von Anfang an dabei?

R.: Nicht alle.

Habt ihr gute Erfahrungen gemacht während der Besetzung?

B.: Teils, teils, aber Auseinandersetzungen sind ja auch was Natürliches.

R.: Ich hatte die Überzeugung, daß die Leute ihre Belange viel mehr in ihre eigenen Hände nehmen können. Die ganze Bevormundung kommt vom Staat, und da kann ein besetztes Haus ein Beispiel dafür sein, daß es auch anders geht. Das ist natürlich schwierig: Von außen gibt es keine Unterstützung, und man ist viel mehr in die Beweispflicht genommen als ein Spekulant. Aber wir können trotzdem beweisen, daß es besser funktioniert, wenn die Leute ihre Häuser selber verwalten.

S.: Viele Leute kommen kaum noch dazu, ihre Sachen selber in die Hand zu nehmen. Und es ist gut, wenn die sich nicht so unter Druck setzen lassen zu arbeiten und die Hälfte des Geldes an Miete zu zahlen.

R.: Ein besetztes Haus ist ein idealer Ort, um klarzumachen, daß einem was nicht paßt an der Gesellschaft.

Ihr habt vorhin gesagt, es gibt von außen keine Unterstützung.

R.: Wir haben Unterstützung von Leuten, die in einer ähnlichen Situation sind wie wir. Aber wir haben sechs Monate in der Situation gelebt, nicht zu wissen, ob wir demnächst rausfliegen. Und so kann man schwer Leute motivieren und das Haus sanieren. Gut wäre gewesen, wenn alle Welt gesagt hätte, wir helfen euch.

Wer ist alle Welt? Nur die Szene?

R.: Die Szene sowieso, aber man kann schon sagen, daß die, als wir besetzt haben, woanders war.

Ganz konkret: Von wem hättet ihr euch denn Hilfe erwartet?

J.: Die Öffentlichkeit hat das nicht akzeptiert, daß das, was wir hier machen, im Namen aller ist. Daß wir nicht Schmarotzer sind, die sich umsonst in ein Haus reinsetzen wollen, sondern daß wir unser Leben selber bestimmen wollen und daß wir unseren Kampf nicht auf das Haus hier beschränken und daß wir die Arbeit machen, die die Politiker machen sollten.

Welche Öffentlichkeit meint ihr denn konkret? Den Kiez?

R.: Unsere Utopie ist, daß mehr miteinander geredet wird im Kiez. Der Kiez hätte das annehmen können, daß das ein Haus ist für den ganzen Kiez. Es haben uns Leute geholfen bei den sanitären Sachen, aber das war auch alles. Die Utopie liegt darin, eine Gesellschaft zu entwickeln, die die Schwächeren trägt und wo es Kommunikation gibt statt ein Nebeneinanderherwohnen wie in den Gewobag-Häusern.

J.: Die Wurzel des Übels, und das ist auch von AL und taz immer verschleiert worden, ist: Wir nehmen hier niemandem Wohnraum weg. Das Haus hier wäre privat modernisiert worden, hier hätten die Yuppies gelebt, und die Türken wären hier rausgeflogen.

Kann es denn sein, daß man der Utopie näher war, als es noch eine große Bewegung gegeben hat und eine ganze Reihe von Häusern besetzt worden waren?

J.: Es waren mehr Häuser besetzt, die sind ja alle abgeräumt worden.

Ich meine, damals, '81, als 160 Häuser besetzt waren.

R.: Wenn jetzt 160 Häuser besetzt wären, wäre es was anderes, aber es gibt immer noch autonome Strukturen, gemeinsame Feste, Solidarität...

Aber ist nicht die Szene sehr aufgesplittert, und die Hausbesetzer gelten nicht mehr viel?

S.: Es passiert viel parallel, aber die Leute mit ihren jeweiligen Schwerpunkten haben noch Verbindungen.

Vielleicht sind es zu viele Schwerpunkte?

S.: Es kann gar nicht genug Schwerpunkte geben.

R.: Ich bin Hausbesetzer geworden, weil sich der Widerstand immer an Orten manifestiert, und die brauchen wir auch. Durch die Unmöglichkeit von Besetzungen hat sich der Widerstand in den letzten Jahren in abstrakte Denkräume verlagert.

Zum Beispiel?

R.: Zum Beispiel IWF. Das kann man begreifen wie eine Offensive, während Hausbesetzungen etwas von einer Defensive haben, nämlich Strukturen zu verteidigen, vor allem jetzt bei der Wohnungsnot, wo jeder froh sein kann, überhaupt nur eine Bude zu haben...

J.: Ein Ort, das ist wie ein Medium, hier laufen Informationen an, hier werden sie ausgetauscht und von hier gehen sie nach draußen. Und dadurch haben wir eine Stärke, dadurch, daß wir uns Gedanken machen können und uns gegen das, was nicht stimmt, wehren können.

Die Hausbesetzerbewegung früher, das waren ja nicht nur 160 Häuser, da gab es einen sehr viel größeren Zusammenhang auch mit dem „legalen Arm der Bewegung“. Ich habe den Eindruck, daß die Hausbesetzer heute zersplittert sind und sich abschotten von allem, was reformistisch ist - und sich damit selber isolieren.

R.: Nein, das stimmt nicht. Was stimmt, ist das mit der Zersplitterung. Aber Hausbesetzer, das ist nicht die ganze Szene. Was die Abgrenzung gegen Reformisten angeht, die gibt es bestimmt bei den meisten von uns. Obwohl man sehen muß, daß Hausbesetzer auch Reformer sind, wenn auch wider Willen.

J.: Wir haben eine gewisse Arroganz, weil die etablierte Szene sich hat einlullen lassen.

Ihr habt ja auch euren Deal mit Nagel gemacht (Protest), bereut ihr den heute? (alles lacht)

R.: Was heißt bereuen? Man besetzt ein Haus und rechnet mit der Räumung. Und die Aufteilung, das zu unterscheiden in politische und soziale Besetzungen, die ist von Medien wie der taz gemacht worden und von AL-Strategen. Aber wir sind ein Beispiel, wo es beides ist: Wir haben Wohnungslose und wir haben einen politischen Anspruch und unterscheiden da nicht.

J.: Bei einer rein politischen Besetzung hätten wir das Angebot von Nagel nicht angenommen.

Was fällt euch zum Stichwort AL ein? (Alles brüllt vor Lachen)

R.: Machtpolitiker...

J.: Machtpolitikerinnen wie Eichstädt...

B.: Enttäuschung...

R.: Sachzwänge...

Seht ihr noch Perspektiven mit der AL?

R.: In bestimmten Punkten ja, zum Beispiel bei der Stromtrasse. Beim Ausländerwahlrecht würde ich sogar noch weiter gehen, aber da ist natürlich immer die Sache mit Bonn. Aber mich nervt es, daß die sich so über den Tisch haben ziehen lassen von dieser absolut reaktionären SPD -Partei. Die AL stellt aus Machtgeilheit ihre Inhalte zurück. Am schlimmsten finde ich, daß die AL aus Machtgründen ihren linken Flügel abgespalten hat. Vor der Wahl haben die ihre Politik auch mit dem autonomen Spektrum betrieben und jetzt machen sie die Linken mundtot, und da geht etwas von der Vielschichtigkeit der Partei verloren. Ich meine, ich bin jetzt nicht für Pluralismus in der Gesellschaft, aber den hat die AL unterdrückt, um regierungsfähig zu werden.

Habt ihr das Gefühl, daß etablierten Leute wie die in der AL oder auch in der taz euch gegenüber arrogant sind und alles besser wissen?

S.: Nein, eher im Gegenteil, wir sind besser informiert.

R.: Die taz ist oberarrogant, das sind Scheiß-Spießer -Yuppies.

K.: Ich finde auch, daß die tazler ziemlich arrogant sind. Zum Beispiel die Berichterstattung über den 1.Mai, das war überhaupt keine Auseinandersetzung mit dem, was da an Spannungen im Kiez abgelaufen ist.

S.: Überheblich, weil unberührt.

Wenn du sagst, ihr tazler müßt darüber nachdenken, was diese Leute so bewegt, dann forderst Du ja eine Art Elternverhalten von der taz.

(Protest) R.: Im Gegenteil, das haben sie ja drauf, aber das wollen wir nicht. Die überhebliche taz sagt: Die Leute haben keine Ahnung von Politik. Das mag auch stimmen, aber die taz stellt den Anspruch, daß man Politik studiert haben muß.

Gilt das für alle etablierten Linken?

B.: Die haben andere Realitäten als wir, die können unsere Realität oder die von irgendwelchen sozial Schwachen gar nicht nachvollziehen. Die haben vielleicht Schemen im Kopf, aber die spüren das nicht mehr. Und deshalb haben sie vielleicht weniger Hemmungen, uns zu sagen: „So, jetzt zieht mal in diese Hundehütten“, wie es die AL ja getan hat, weil sie nicht sehen, was das wirklich bedeutet.

Wie stellt ihr euch eure Zukunft vor? Es wird jetzt immer enger werden - auch wegen der Umsiedler. In Berlin gibt es alle paar Jahre eine Bewegung, die um Lebensraum kämpft. Die werden dann älter und verspießern, das ist vielleicht auch okay so. Ihr seid jetzt gerade noch zum Zuge gekommen. Aber wie wird die Stadt werden, wenn alles voll ist?

S.: Irgendwann werde ich auch Platzangst kriegen, aber jetzt nicht. Dann suche ich einen anderen Platz, notfalls im Osten.

J.: Ich glaube, dann werden unsere Ideen noch viel wichtiger werden. Wenn es hier enger wird, müssen immer mehr Leute einsehen, daß sie nicht auf ihrer Ein-, Zwei -Zimmerwohnung beharren können.

S.: Es geht nicht um Ein- , Zwei-Zimmerwohnungen, sondern um Leute, die in Sechs-Zimmer-Luxuswohnungen im Dachgeschoß leben. Für Leute, die viel Geld haben, ist es total unproblematisch, hier zu leben. Die müssen sich auch mit gar nichts auseinandersetzen, weil sie bestimmen, wie alles zu laufen hat.

Wenn es enger wird, gibt es erst recht Grund, Häuser zu besetzen, mit einer härteren Gangart, meint ihr?

R.: Nein, es geht nicht um die Ellbogengesellschaft, sondern darum, daß viele zusammenleben können.

In zwei Jahren wird es vielleicht gar keine leeren Häuser mehr geben, weil die hier alles abgeklopft haben...

R.: Das kann sein, aber Spekulation und Wohnungsnot wird es noch geben. Wir denken, wir können auch mit Aussiedlern, wenn wir mit denen reden können, prima zusammenleben. Aber was zum Beispiel auf dem Polenmarkt abläuft, daß Leute einfahren, die ihr kleines Geschäft machen, während Leuten, die sich mit 170 Millionen aus dem Staub machen, nichts passiert...

R.: Da vorne hängt ein Zitat von Ulrike Meinhof: „Wir können sie nicht zwingen, die Wahrheit zu sagen, aber wir können sie zwingen, immer unverschämter zu lügen.“

Ist es nicht konterrevolutionär, wenn die Leute ihre Projekte bekommen und dann anfangen zu basteln und zu heimwerken?

J.: Über das alltägliche Leben läuft ja der Widerstand und kann sich so viel besser manifestieren.

Beim Kubat-Dreieck haben zynische Journalisten über Kewenig gewitzelt: „Der hätte die da drauf lassen sollen und Hütten bauen, da wäre der IWF friedlich gelaufen.„

R.: Naja, Kubat, da lag Weltkrieg-Zwei-Schutt...

Ich meine nicht Kubat konkret, sondern die Idee. Wenn man der Bewegung - so viele sind das ja nicht - eine Fabrik gäbe mit sechs Etagen, dann können die Realpolitiker sagen: So, jetzt ist erst mal Ruhe in der Stadt, und wir können in aller Ruhe unsere Busspuren anlegen.

R.: Christian Ströbele denkt so, aber die Szene hätte bei Kubat was realisiert auf Dauer. Da wäre vielleicht IWF wirklich ausgefallen, aber es hätte ein Gegenmodell gegeben, weil die Leute Entbehrungen auf sich genommen haben.

Aber so ist das doch auch gelaufen in den besetzten Häusern mit den Entbehrungen. Und die haben jetzt die Ikea -Phase überwunden und sind beim Schleiflack angelangt.

J.: Das liegt daran, daß die Welt draußen um 180 Grad andersrum ist. Du kannst versuchen, ein Miteinander aufzubauen, und dann gehst du aus dem Haus, und draußen ist das ganz anders. Wenn die Leute anfangen, normal zu arbeiten, kommt die ganze Erziehung wieder durch. Was mein ist, ist mein, und so weiter.

R.: Widerstand ist eine verdammt anstrengende Sache. Das war eine schlaue Spaltungsstrategie der CDU damals. Da hat es Tote gegeben, viele waren im Knast. Wo sind denn die Besetzer der ersten Stunde?

Die einen hängen an der Flasche und die anderen sind Staatssekretäre.

R.: Wir leben ja nicht in der Dritten Welt, sondern in der Ersten, und du kannst ja hier gut leben, wenn du willst.

Ist das nicht automatisch so? Würden nicht - wenn ihr das Haus kriegen würdet - hier in zwei Jahren perfekte Küchenpläne hängen? Laufen nicht in allen Gruppen diese Prozesse ab, daß sich die Stärkeren etablieren und die Schwächeren rausfliegen?

J.: Es gibt eine natürliche Ordnung, die will man, weil man die braucht, zum Beispiel daß die Sachen in der Küche am Platz sind. Damit die sich entwickelt, müssen alle Bescheid wissen, was abläuft. Und die Ordnung, die draußen herrscht, die entwickelt sich nur zwischen den Leuten, die Macht haben, und die zwingen ihre Ordnung den anderen auf.

In ein paar Jahren seid ihr weiter und habt vielleicht den Punkt erreicht, wo ihr keine Lust mehr habt, mit den Leuten, die neu dazukommen, bestimmte Sachen zu diskutieren, zum Beispiel ob Küchendienst konterrevolutionör ist. Dann fängt die Etablierung an.

B.: Aber man hat ja Zeichen gesetzt: Der Widerstand war da, und die, die nach uns kommen, werden sich mit uns vergleichen, so wie wir uns mit den 81er-Hausbesetzern vergleichen. Ich verlange von niemandem, daß er ein Leben lang Widerstand macht, aber daß er seine Erfahrungen weitergibt. So wie wir das tun wollen.

Interview: Eva Schweitzer und Thomas Kuppinge