Pervertierte Sprache-betr.: "Zeitungsmärkte", taz vom 16.9.89

betr.: „Zeitungsmärkte“,

taz vom 16.9.89

'Reform‘, jenes ungarische Massenblatt mit dem Monarchistenwappen im Zeitungskopf, geht, zunächst zur Hälfte, an einen australischen Pressezaren. Und polnische „Reformer“ veranstalten Protestdemonstrationen für Pilsudskis (1939 rückgängig gemachte) Rauberoberungen mehrheitlich ukrainischer beziehungsweise weißrussischer Gebiete: Allmählich dürfte klarwerden, daß das Wort „Reform“ im Zusammenhang mit Osteuropa weitgehend zur Propagandasprache verkommen, das heißt Synonym für das altmodische, aber treffende Wort „Reaktion“ geworden ist.

Wieder einmal sind die Medieneigentümer dabei, einen Begriff neu zu besetzen und in ihrem Sinne umzudefinieren: Bezeichnete das Wort „Reform“ im neueren politischen Sprachgebrauch zunächst vor allem die (langsame) Überwindung von Kapitalsherrschaft, erweiterte es sich sodann auf die Korrektur von Fehlentwicklungen, die im Kampf gegen die Kapitalsherrschaft entstanden waren (Stalinismus, Bürokratismus, etc.), soll es jetzt gerade umgekehrt die Rekonstruktion der Kapitalsherrschaft inklusive bürgerlichem Chauvinismus etc.pp. bedeuten. Hier wird, ebenso wie bei den glorreichen Wortschöpfungen a la „Entsorgungspark“ oder „finaler Rettungsschuß“ Sprache in hohem Maße pervertiert. Und gleichermaßen bestünde Anlaß, sich gegen solche newspeak zu widersetzen, anstatt undifferenziert, aber dafür um so lauter zu fordern, auch die DDR müsse jetzt doch endlich „Reformen“ verwirklichen.

Harald, München