Den Genozid zum Gärtner gemacht

Für die ARD sind „die Juden“ selbst schuld - „Kinder der Welt“ für Hetzfilm mißbraucht  ■ D E B A T T E

So richtig „erklären“ kann niemand, warum Juden seit Jahrtausenden verfolgt und ermordet werden. Jetzt aber wissen wir: mit Rassismus hat das nichts zu tun. Schuld sind: die Juden. Sind sie doch immer schon damit hausieren gegangen, sie seien etwas Besonderes. „Republikaner„-Geschwätz? Mitnichten. So etwas darf man heute nicht sagen? Man(n) darf. Im Ersten Deutschen Fernsehen, am 18.September, zur „prime time“. Man muß sich nur in einem Halbsatz legitimieren. Autor Gordian Troeller versichert, er sei ja als Luxemburger unverdächtig und habe seinerzeit gegen Hitler „gekämpft“.

Niedliche Bilder aus einem israelischen Kindergarten. Text: „Die Juden sind aus den verschiedensten Ländern der Welt in dieses Land gekommen. Man sieht es an ihrem Äußeren. Der Grund für die Diskriminierung und Verfolgung der Juden kann also nicht die Rasse sein, auch wenn das Wort 'Antisemitismus‘ das nahelegt. Was weltweit zur Ausgrenzung des jüdischen Volkes führte, hat eher mit seinem Anspruch zu tun, 'Gottes auserwähltes Volk‘ zu sein.“

Hier gerät der Genozid zum Gärtner. „Auserwähltes Volk?“ Gibt es eine Reli- und Region, die nicht Züge davon trägt? Umgekehrt: Wohl kaum eine Religionsphilosophie ist so unmissionarisch. Und: Welcher Ersatz-Hoffnung muß anhängen, wer zu einem Volk gehört, das seit zweitausend Jahren verfolgt, geknechtet, getötet wird?

So wie Troeller haben es Goebbels und seine Vorgänger verkündet. Deshalb würde das kein anständiger Linker in diesem Land mehr sagen. Daß der Zusammenhang mit dem sich vorgeblich gegen israelische Politik auflehnenden Neoantisemitismus unauflösbar ist - vielleicht ist es Troellers Verdienst, dieses nun, ungewollt, auch dem letzten „Antisozionismus„-Träger vor Augen und Ohren geführt zu haben.

Kinder der Welt heißt die ARD-Serie: Kinder, die von Troeller mißbraucht werden für eine perfide Mischung aus Wahrheiten über israelische Greueltaten, tränendrüsigen Lügen und widerlicher Geschichtsklitterung. Unter dem Titel Die Nachkommen Abrahams ließ er sich in einer Weise aus, die manchem Schreiber auch dieser Zeitung ins säuberliche Unterdrücker-Unterdrückte-Weltbild passen dürfte.

Der öffentlich-rechtliche Intifada-Apologet weiß zu erzählen, woher das alles kommt. Die Juden haben zwar den gleichen Stammvater, Abraham, wie die Araber, aber sie wollen ihren Brüdern einfach „nicht die gleichen Rechte“ einräumen. „Die Juden beanspruchen dieses Land im Namen einer Jahrtausende alten Verheißung Gottes; die hier lebenden Araber, die Palästinenser, weil es seit jeher ihre Heimat ist.“ Kein Wort davon, daß auch Juden „seit jeher“ hier lebten; keine Andeutung, wovor mehr Juden „in den letzten 100 Jahren“ hierhin flüchteten, keine Erwähnung, daß Engländer für ihren Krieg gegen Türken Juden, die es schafften, Deutschen zu entkommen, und gleichzeitig Palästinensern, die von Arabern wenig wohlgelitten waren, das gleiche Land zusicherten.

Nein, aus heiter-multikulturellem Himmel hat „diese Bruderfehde zu mehreren Kriegen geführt. Israel konnte sich behaupten, und seine Existenz wird von der Mehrheit der Palästinenser nicht mehr in Frage gestellt“. Von welchem Stern, Herr Troeller, haben Sie Ihr Bildmaterial, nur um den Davids gesichert sehen zu können? Da „könnte Friede herrschen, wenn die Israelis sich mit den ihnen international zugestandenen Gebieten begnügen würden“. Die SA brüllte besser: „Steckt die Juden ein, und das Land wird ruhig sein.“

Diese Vergangenheit hat er nicht zu „bewältigen“, der nichtdeutsche Wegsehmann, und um die perpetuierte Gegenwart kümmern sie sich: „Es sieht ganz so aus, als würden die Juden ihre Vergangenheit wiederholen.“ Begründung: „Alle Siedlungen sind selbsterrichtete Ghettos in feindlicher Umgebung.“ Reisende ins gelobte Land werden am Flughafen auf Waffen durchsucht, doch Troeller kennt die wahren Motive: „Das ließen sie über sich ergehen, denn die meisten kommen mit dem Schuldgefühl, das die westliche Welt den Juden gegenüber hat.“ Überflüssig, denn: „Wenn israelische Soldaten in der arabischen Altstadt von Jerusalem patrouillieren, sind die Touristen überzeugt, es sei zu ihrem Schutz, obwohl dieses Aufgebot nur dazu dient, ihnen das Gefühl der Bedrohtheit Israels zu vermitteln.“ Dabei bedrohen nur - auch dies Originalton - die Juden die Palästinenser, und: „Um den Widerstand niederzuschlagen, scheute die israelische Armee nicht davor zurück, internationale Regeln des Besatzungsrechts zu brechen, das elementare Recht auf Bildung zum Beispiel. Mit Beginn des Aufstandes wurden die Schulen und Universitäten in den besetzten Gebieten geschlossen.“

Unerwähnt bleibt, daß hier das Bildungssystem erst von Israel aufgebaut wurde. „Absicht solcher Maßnahmen ist es, den ohnehin im Vergleich zu Israel bestehenden Bildungsrückstand zu vergrößern. Zwar erklärt die Militärverwaltung, die Schulen und Universitäten seien geschlossen worden, weil sie Zentren des Aufruhrs seien. Ein Scheinargument: Denn erst die erzwungene Untätigkeit treibt die Schüler und Studenten dazu, sich zusammenzurotten und gegen die Israelis zu revoltieren.“ Was für eine logische Revolte! Palästinensische Jugendliche dürfen Hilfsarbeiter werden: „Genau das aber wollen die Israelis erreichen. Sie brauchen ungelernte, billige Arbeitskräfte.“

Deswegen die Intifada. Die Eltern wurden, wie sie schildern, „vor 41 Jahren“ vertrieben. Von wem Palästinenser vertrieben, nicht aufgenommen, in Lagern gehalten wurden: wieder kein Wort. Und die „Kinder und Jugendlichen haben zu Steinen gegriffen und ihr Leben riskiert, um ihren Eltern zu beweisen, daß Widerstand möglich ist“. Deswegen die „spontanen Auftritte, die wir überall beobachten konnten“ - bei laufender Kamera in diese hinein, ganz spontan eben. Es ist nicht der einzige Widerspruch, der dem Autor unentdeckt bleibt. Gerade seine Erklärung für Beginn und Methoden der Intifada stellt die Tatsache, daß Kinder verheizt werden, auf den Kopf. Die etwa fünfjährigen, Parolen plappernden Mini-Machos, der nach seinen Motiven fürs „Steinewerfen“ befragte, etwa siebenjährige Junge mit auswendig gelernter Heldenpose: „Weil sie unser Land besetzen und ausrauben und weil wir unseren eigenen Staat haben wollen“ - sie hätten auch Troeller die Augen öffnen können über skrupellose Politiker gerade auch drüben, wäre sie ihm nicht hüben durch die Juden verstellt.

Wenn es denn noch gesagt werden muß: Ja, es gibt aggressive, überforderte, durchdrehende Soldaten, es gibt, wie überall, wo Militärs das Sagen haben, Gewalt, es gibt reaktionäre Siedler. Troeller zeigt deren Opfer, glauben wir es, obwohl er keinerlei Beweis liefert, daß die palästinensischen Jugendlichen allesamt zufällig beim „Spielen“ waren. Von verletzten oder erschossenen israelischen Kindern sehen wir nichts. Es gibt sie genauso.

Kinder Israels, jung und alt, treten indessen auch auf. Sie werden in zwei Gruppen eingeteilt: Die einen, Schüler aus Siedlerkreisen zumeist, dürfen ihre Angst vor Palästinensern zum Beweis für die Intoleranz der Juden ausdrücken. Oder sie werden regelrecht vorgeführt, jene aus dem Osten, die mit den Schläfenlocken und Gebetsriemen. Zu diesen Bildern erdreistet sich Troeller, empört aussprechen zu lassen: Faschismus in Israel, Rassismus bei den Juden! Gemeint ist die Auffassung, man müsse sich vor Palästinensern fürchten.

In schöner Scheinausgewogenheit kommt dann die zweite Gruppe zu Wort, und das beruhigt, unausgesprochen -deutlichst: Es gibt auch den guten Juden. Die liberale Peace-Now-Bewegung steht dafür, und ein lieber Israeli sagt es ja selbst, warum sollte es dann das deutsche Fernsehen nicht tun: „Es ist eine Schande: Im jüdischen Staat - das Volk, das so gelitten hat - zerstört man Häuser und ganze Familien.“

Knalleffekt, Ende des Films. Ende einer nervenden „Vergangenheitsbewältigung“. Wenn „der Judenstaat“ - wie der Film suggeriert - selbst „faschistisch“ ist, dann ist das „schlechte Gewissen der westlichen Welt gegenüber den Juden“ aus der Mode.

David Singer