Neues Tiefflugkonzept nur Kosmetik

Bundesverteidigungsminister Stoltenberg stellt Bericht vor / Angebliche Lärmentlastung der Bevölkerung / Nur 2.000 Stunden weniger sollen die Jäger über die Bundesrepublik donnern / Stoltenberg betont „offensive Anteile“ der Luftverteidigung / Grüne und SPD: Farce  ■  Aus Bonn Andreas Zumach

Bundesverteidigungsminister Stoltenberg hat gestern in Bonn seinen seit langer Zeit angekündigten Tiefflugbericht vorgestellt. Neben einer ausführlichen Begründung, warum auch künftig Tiefflüge in großem Ausmaß über der Bundesrepublik Deutschland nötig seien, enthält der Bericht die mit den Nato-Alliierten abgesprochenen „Maßnahmen zur weiteren Entlastung der Bevölkerung von Fluglärm“. Vertreter von SPD und Grünen reagierten kritisch bis ablehnend auf den Bericht, der heute im Bundestag diskutiert wird.

Die Tieffluggeschwindigkeit für die Navigationsphase der Kampfflugzeuge soll bundesweit von 450 Knoten (835 Stundenkilometer) auf 420 Knoten (778 km/h) verringert werden. Durch diese - nach den Abstürzen von Remscheid und Ramstein im Vorjahr bereits seit Anfang 1989 praktizierte Maßnahme - soll schockartiger Lärm in dieser Flugphase vermieden werden und je nach Flugzeugtyp eine Lärmverringerung um bis zu 25 Prozent erreicht werden. In der Phase kurz vor Erreichen ihres Zieles - von Stoltenberg auf fünf Prozent des Tiefflugaufkommes beziffert - werden die Flugzeuge jedoch weiterhin über 450 Knoten fliegen und damit den schockartig auftretenden Lärm verursachen.

Durch Verringerung des Tiefflugs der Bundesmarine über Land sowie die Verlagerung taktischer Ausbildungseinheiten vom nordfriesischen Jever nach Belgein soll die Zahl der derzeit 68.000 Tiefflugstunden über der BRD um 2.000 reduziert werden. Über weitere Verlagerungen ins kanadische Goose Bay, nach Portugal und in die Türkei finden derzeit noch Verhandlungen unter den Nato-Alliierten statt. Die Verweildauer der Kampfflugzeuge in der 75-Meter -Tiefstflugzone soll von durchschnittlich 28 Minuten auf 12 bis 15 Minuten reduziert werden. Dies soll eine Verringerung der Tiefflüge im 75-Meter-Band um 45 Prozent mit sich bringen.

Der Bericht verschweigt allerdings, daß das Tiefflugaufkommen im Bereich zwischen 75 und 450 Metern entsprechend ansteigen wird. Stoltenberg verweigerte vor der Presse in Bonn außerdem konkrete Auskünfte darüber, wie sich die Anteile der Flugzeiten in der 75-Meter-Zone künftig zwischen der Bundesluftwaffe und den Alliierten aufteilen. Die Verweildauer der US-amerikanischen und vor allem der britischen Flugzeuge betrug bislang das bis zu 25fache der bundesdeutschen.

Künftig dürfen 61 Städte (bisher 25) nicht mehr in 75 Meter Höhe überflogen werden. Die Luftkampfausbildung in großen Höhen über 3.000 Meter soll künftig zu 86 Prozent (bisher 66) über See und im Ausland durchgeführt werden. Der Bericht erwähnt nicht, daß diese ohnehin nicht zum Tiefflug zählenden Übungen nur einen sehr geringen Anteil des militärischen Flugaufkommens über der BRD ausmachen. Die Tiefflugabfangübungen im 150- bis 450-Meter-Band sollen nach Ausrüstung bestimmter Flugzeugtypen mit neuen Radar-und Waffentechnologien in größere Höhen verlegt werden, wovon sich die Hardthöhe eine Lärmreduzierung am Boden um 50 Prozent verspricht.

Stoltenberg begründete seine Auffassung, wonach der Tiefflug „auf absehbare Zeit ein unverzichtbares taktisches Mittel“ sei, fast aus Fortsetzung auf Seite 2

Kommentar auf Seite 8

FORTSETZUNG VON SEITE 1

schließlich mit den sogenannten „offensiven Anteilen der Luftverteidigung“. Vor allem müßten die Nato -Luftstreitkräfte „verhindern, daß ein Angreifer in seinem rückwärtigen Bereich Kräfte für die Fortsetzung des Angriffes bereitstellt“. Entscheidend sei, daß die Flugzeuge der Nato „sehr schnell und sehr tief fliegen“ könnten, um die Reaktionszeiten für die gegnerische Luftverteidigung zu verkürzen. Ein Verzicht oder auch nur ihre signifikante Reduzierung gefährde das Nord-Bündnis.

Der Bedeutung von Tiefflügen für die Verteidigung des eigenen Territoriums maß Stoltenberg nur geringe Bedeutung zu. Die Abgeord

nete der Grünen Angelika Beer und der SPD-Abgeordnete Albrecht Müller nannten Stoltenbergs Maßnahmen gegenüber der taz „völlig unerheblich“. Niemand könne sie kontrollieren. Von in früheren Jahren angekündigten Reduzierungen habe „die Bevölkerung nichts gespürt“. Müller erinnerte an eine Aussage von Stoltenbergs Vorvorgänger Wörner vom 14.April 1988, wonach die Aliierten ihre Tiefflüge über der BRD nicht einstellen würden, selbst wenn dies die Bundesluftwaffe täte. Eine Bedrohung aus dem Osten existiere nicht, ein Überraschungsschlag der Warschauer Vertragsstaaten sei „undenkbar“. „Völlig unabhängig vom Ost-West-Konflikt“ würden beim Tiefflug über der BRD vor allem Einsätze gegen Ziele in der „Dritten Welt“ geübt.