Grüne zwischen Tradition und Modernisierung

Auf dem Parteitag der hessischen Grünen forderte Joschka Fischer eine am Realitätsprinzip orientierte programmatische und organisatorische Erneuerung / Demonstration gegen schwarz-braunen Bürgermeister in Bad Hersfeld / DDR-Bürger sind „willkommen“  ■  Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Bad Hersfeld (taz) - Noch bevor am Sonnabend der Parteitag der hessischen Grünen in der Festspielstadt Bad Hersfeld so richtig in die Gänge kam, demonstrierten die rund 200 anwesenden Mitglieder gegen die am Abend des vergangenen Donnerstags über die Laienbühne gegangene Bürgermeisterwahl im Staatsbad. Mit den Stimmen von CDU und NPD war der nur 24 Stunden vor der Wahl aus der CDU ausgetretene Hartmut Boehmer (48) erneut zum Bürgermeister der Stadt gekürt worden. Das erste „schwarz-braune Bündnis des Landes“ - so Grüne und SPD gleichlautend - sei trotz aller christdemokratischen Dementis der Vergangenheit in Bad Hersfeld Realität geworden: „Wallmann und Boehmer sind die Schleusenwärter für die Rechtsradiaklen“ (Joschka Fischer).

„Stoßt den Boehmer, diesen Gockel, von dem Bürgermeistersockel!“ - so lautete denn auch der Slogan, mit dem die Grünen um die Mittagszeit durch die City von Bad Hersfeld zogen. Daß die angekündigte Demonstration dann eher der Stadtbesichtigung einer Touristengruppe glich, die sich unter der Sonnenblumenfahne der Reiseleiterin aus dem Landesvorstand gesammelt hatte, wurde bedauernd auf die „Organisationsschwäche“ der Partei zurückgeführt. Ein einziges, eilig dahingeschludertes Transparent begleitete den Zug - und das Megaphon des Landesvorstandes war ein Totalausfall.

Ausführlich beschäftigte sich Joschka Fischer in seiner Grundsatzrede mit den strukturellen Problemen nicht nur des hessischen Landesverbandes. Die gesamte Partei sei von dem Bazillus der „Organisationsschwäche“ befallen. Mit den bestehenden Parteistrukturen könne noch nicht einmal ein Alternativbetrieb geführt werden: „Die Grünen sind dabei, ein reiner Wahlverein zu werden.“ Und das führe zwangsläufig zu einer Dominaz der Fraktionen in den diversen Parlamenten

-„und die Partei schwebt weiter im Reich der seeligen Utopien“. Unter dem Beifall der Versammelten forderte Fischer die „kontroverse Diskussion“ innerhalb der Partei, an deren Ende ein dritter Weg zwischen „Tradition und Modernisierung“ aufgezeigt werden müsse, der sich am „Realitätsprinzip“ zu orientieren habe. Darüber hinaus diagnostizierte Fischer „anhaltende Programmdefizite“. Obgleich der leidige Fundi-Realo-Streit längst entschieden sei und sich bundesweit inzwischen etwa 80 Prozent der Grünen für Koalitionen ausgesprochen hätten, sei eine dieser Konstellation angepaßte neue Programmatik nicht in Sicht.

Fischers Thesen stießen im Landesverband nicht auf Widerspruch. Versammlungsleiter Jürgen Engel konstatierte „keinerlei Debattenbedarf“. Den gab es dann, als die Partei ihr Verhältnis zu den „Republikanern“ diskutierte. Dabei wurde der Leitantrag des Landesvorstandes, der zum Inhalt hatte, daß die Grünen jede Zusammenarbeit mit rechtsextremen Parteien ablehnen, durch den Zusatz der „Unvereinbarkeit auch einer indirekten Zusammenarbeit“ ergänzt. Mit diesem Beschluß sollen in Zukunft Vorgänge wie im Rheingau-Taunus -Kreis ausgeschlossen werden. Vor Monatsfrist hatten dort im Kreistag die Grünen einen Abwahlantrag gegen einen FDP -Dezernenten mit den Stimmen von SPD und REPs durchgebracht. Darüber hinaus votierten die Grünen für eine „offensive Auseinandersetzung“ mit REPs und NPD: „Proteste unter dem Motto 'Nazis raus‘ führen nicht weit.“

In der abschließenden Debatte um die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik stellten sich die Grünen gegen den auf „offene Grenzen“ zielenden Beschluß des Bundesparteitages. Die Bundesrepublik sei de facto ein Einwanderungsland. Und deshalb müßte ein Zuzugs- und Einwanderungsgesetz den Rechtsstatus dieser Immigranten verbindlich regeln. Im Gegenzug fordern die Grünen die umgehende Aufhebung des geltenden Ausländergesetzes. Daß das türkische Landesvorstandsmitglied Ozan Ceyhun diesen Beschluß mittrug, nahm den fundamentalistischen Kritikern den Wind aus den Segeln. Ceyhun: „Wir müssen uns vordringlich um die bereits hier lebenden 4,5 Millionen AusländerInnen kümmern und ihnen einen besseren Status verschaffen.“ Die Partei heißt auch die Flüchtlinge aus der DDR „willkommen“. Aus der Vorlage des Landesvorstandes strichen die Versammelten allerdings die geforderte „wechselseitige doppelte Staatsangehörigkeit für DDR- und BRD-Bürger“ und die Anerkennung von „Ostberlin“ als Hauptstadt der DDR.