„Große Probleme“

Momper über Reisefreiheit und Devisenhunger  ■ I N T E R V I E W

taz: 40 Jahre DDR. Haben Sie gratuliert, oder fallen Ihnen nur Verwünschungen zum Jubiläum ein?

Walter Momper: Man muß auch in schwierigen Zeiten einen kühlen Kopf behalten. Wir bleiben weiterhin auch mit der Führung der SED im Gespräch. Wir wollen die Kooperation im Interesse guter Nachbarschaft weiter ausbauen. Und hinzu kommt: Wir sind solidarisch mit den Forderungen der oppositionellen Gruppen in der DDR. Die Führung in der SED muß sich endlich mit der Opposition an einen Tisch setzen und über die Lösung der Probleme reden.

Wie beurteilen Sie die erheblichen Zahl von Zurückweisungen an den Grenzübergängen?

Sie betreffen vor allem jüngere Menschen. Wir haben dagegen protestiert. Das Viermächteabkommen muß eingehalten werden.

Sind Sie zu den Feiern eingeladen?

Nein. Außerdem habe ich am Samstag etwas anderes zu tun.

Angesichts des Reformprozesses in Ostmitteleuropa, der auf Dauer keinen Bogen um die DDR machen wird: Bieten dann nicht zwei deutsche Staaten - in denen Demokratie herrscht, die sich unterscheiden, in denen aber die Probleme von Ökologie und Ökonomie unterschiedlich angegangen werden eher eine größere Bereicherung als die Wiedervereinigung?

Ich halte das Gerede über die Wiedervereinigung wirklich für schädlich. Man belastet damit die Demokratiebewegung in der DDR. Man verkoppelt unzulässigerweise Demokratiebewegung und Wiedervereinigung. Ich teile ihre Auffassung vollkommen: Es ist auch eine Chance für Europa, wenn es zwei deutsche Staaten gibt, von denen die Bundesrepublik eine Lösung für die Probleme der Gegenwart, Ökologie, Frieden, Gleichstellung der Frauen, in bekannter Weise anzubieten hat, und es auf der anderen Seite eine DDR gibt, in der die Vorstellungen der Reformkräfte nach einem sozialeren und demokratischen Staat verwirklicht werden. Hauptsache, die Grenzen haben nicht mehr ihren trennenden Charakter. Eine Vielfalt demokratischer Staaten deutscher Zunge, ob Österreich, die DDR oder die Bundesrepublik, wäre sicher etwas, was zur Bereicherung führen könnte. Das wäre dann der Wettbewerb zwischen Kapitalismus unserer Facon und einem dritten Weg, den die Reformgruppen der DDR einschließlich der SED erst noch finden müssen.

Sehen Sie auch Gefahren und Probleme für West-Berlin, falls sich Reformen in der DDR durchsetzen?

Da gibt es große Probleme. Wirtschaftliche Hilfe bedeutet ja, daß wir auf einen Teil unserer Mittel verzichten. Wir sehen ja auch, was Reisefreiheit für die Polen bedeutet. Die kommen nicht nur her, weil sie reisen wollen, sondern auch, weil sie Devisen brauchen. Der Polenmarkt ist auch eine Belastung für die Stadt, man sieht daran, welcher Devisenhunger dort herrscht, um westliche Güter zu erwerben. Das würde bei einer Öffnung der DDR nicht anders werden. Wir müssen uns dem stellen und durch diese schwierigen Zeiten durch. Dann haben wir eine große Zukunftschance.

mtm